Vor einigen Jahren veröffentlichte eine Kieler Studentenzeitschrift einmal eine bemerkenswerte Reportage. Geschildert wurde der Selbstversuch einer Gruppe, sämtliche Folgen von Monty Pythons Flying Circus nonstop ohne Pause zu sehen. Heute sind viele technische Schwierigkeiten, mit denen sich diese Pioniere des Binge-Watching konfrontiert sahen, bestenfalls noch für historisch Interssierte nachzuvollziehen. Etwa die verzweifelte Suche für den heldenhaft dahingeschiedenen Video-Recorder mitten in der Nacht. Die Sucht danach, Serien am Stück zu genießen hat seither massiv zugenommen. Schuld sind der Verkauf von DVD-Boxen oder die Möglichkeit, komplette Staffeln in Online-Videotheken zu sehen. Wer braucht da noch Programmzeitschriften, wenn man sämtliche Folgen der neuen Staffel von House of Cards ohne wochenlange Wartezeiten genießen kann?
Koma-Glotzen 1
Ich bin ein Politik- und Nachrichten-Junkie. Und wenn es nicht Nachrichten gäbe, könnte ich eigentlich gerne auf das komplette deutsche Fernsehen verzichten. Hierzulande sind Serienschreiber offenbar nicht in der Lage, aktuelle Themen in spannende und unterhaltsame Drehbücher zu übersetzen. Voller Wehmut denke ich an Glanzlichter wie die wöchentlichen Kommentare zur amerikanischen Politik, die die Helden am Ende jeder Folge von „Boston Legal“ von sich gaben. Oder aber an die großartige erste Staffel von The News Room mit seiner Auseinandersetzung nicht nur mit der Qualitätät der täglichen Nachrichten sondern auch mit einer Abrechnung mit dem noch immer vorhandenen und belächelten Phänomen der Tea Party. „House of Cards“ geht da noch einen ganzen Schritt weiter. Zum Glück muss man hier sagen: Die völlige Amoralität der „Helden“ um Francis Underwood (Kevin Spacey) fand sich schon in der wundervollen Vorlage, die die BBC in der Zeit nach dem Ende von Maggie Thatcher auf den Bildschirm brachte.
Sofort fühle ich mich zu Hause, als die erste Folge der zweiten Staffel zu laufen beginnt. Kevin Spacey/Francis Underwood hatte es in den ersten dreizehn Folgen geschafft, die komplette Regierung seiner eigenen Partei zu destabilisieren. Schließlich wurde er zum Vizepräsidenten gekürt. Auf der Strecke blieben ein Abgeordneter, der angeblich Selbstmord beging. Und auch die der Story nachhechelnden Journalistinnen und Journalisten sind der Skrupellosigkeit dieses Arschlochs nicht gewachsen. Jetzt also gilt es, die neue Position zu festigen und gleichzeitig dem ungeliebten Präsidenten die eigenen Ideen unterzujubeln. Die in der ersten Staffel noch mit Informationen gefütterte Journalistin Zoe Barnes stört mit ihren Fragen nur. Folglich endet sie als Leiche auf U-Bahn-Gleisen. Neuer Gegenspieler wird der Industrielle Raymond Tusk, der nach Underwoods Meinung zu viel Einfluss auf den Präsidenten hat. Es folgen eine Handelskrise mit China, Geheimverhandlungen, und immer wieder die familiären Rituale der Underwoods. Überhaupt könnte man Staffel zwei auch als „Bilder einer Ehe“ betrachten. Bis hin zum möglichen Sex der beiden mit dem Leibwächter.
Es ist irgendwann zwischen drei und vier Uhr morgens. Ich schrecke hoch, bekomme die Augen mit Mühe geöffnet. Auf dem Bildschirm ist Doug Stamper dabei, mal wieder das Callgirl, in das er heimlich verliebt ist, das er aber aus dem Licht der Öffentlichkeit hat verschwinden lassen müssen, zu belästigen mit seinen Forderungen. Irgendwas hab ich verpasst. Die Folge werde ich noch mal starten müssen. Jetzt gleich? Oder sollte ich der gewaltigen Verlockung einer Schlafpause nachgeben? Ich starte sie gleich neu. Doch Minuten später fallen die Augen wieder zu. Für drei Stunden bin ich im Land der Träume versackt. Was bin ich für ein Weichei!
Doch sofort nach dem Aufwachen geht der Marathon weiter. Es ist eigentlich Zeit fürs Frühstück. Doch die Brötchen sind alle. Müsli muss ausreichen. Es liegen noch drei oder vier Stunden vor mir. Stunden, in denen Kevin Spacey oftmals an der Grenze zur Demaskierung steht. Doch seiner Skrupellosigkeit ist eigentlich niemand gewachsen, nicht einmal Tusk mit seinem Lobbyisten-Helfer. Von den Journalisten ganz zu schweigen. Letztlich ist Underwood am Ziel: Er zieht ins Weiße Haus als neuer Präsident. Und nur Doug Stamper bleibt tot auf der Strecke. Er hätte das Callgirl nicht immer auf‘s Neue reizen sollen.
Fazit: Dreizehn Folge a 40 Minuten feinste Unterhaltung mit großartigen Schauspielern. Politik, Macht, Skrupellosigkeit, Zynismus. House of Cards ist eines der Beispiele für völlige Antihelden, denen man dennoch fasziniert folgt. Ich allerdings bin als Komaglotzer hier eindeutig an meine Grenzen gestoßen. Ohne Schlafpause war ich dieser Serie nicht gewachsen.