Ein Pianist spielt Boogie und Blues alleine? Wenn der Mann am Klavier Henning Pertiet ist, dann stellt sich dabei garantiert keine Langeweile ein. Denn bei ihm wird selbst der Modern Jazz eines Theolonius Monk einer Prüfung in Bluestauglichkeit unterzogen.
Ich liebe es, wenn jemand Blues am Klavier spielt. Oder auch Boogie Woogie. Doch wenn dazu keine Band spielt oder kein Gesang kommt, dann ergreift mich dann schnell eine Übersättigung oder noch schlimmer: die Langeweile. Denn wie groß ist die Zahl der möglichen Themen, wie flexibel die Begleitung in der linken Hand: schnell glaubt man da, bereits alles gehört zu haben.
Bei "Masterpieces Vol. 1" ist mir das nicht passiert. Klar kommen hier klassische oder eigene Kompositionen von Henning Pertiet zu Gehör, laufen die Bässe in feinster Boogiemanier durch die Gegend. Doch jedes Mal, wenn man glaubt, sich ausklinken zu können aus dem Hörprozess, überrascht einen der Solist: Plötzlich kommt dann nach dem frisch gerockten Honky Tonk Train Blues von Meade Lux Lewis ein Ausflug in die abstrakten Klangwelten von Theolonius Monk ("Blue Monk"). Und endlich kapiert der Rezensent auch, wieso dieser Jazzer sich zeitlebens auch auf seine Blueswurzeln berufen hat. Später kommt dann nach noch Ellingtons "G-Jam Boogie" zu einer solistischen Pianodarbietung. Und in anderen Stücken glaubt man dann auch noch Anspielungen auf Bach in der Lesart von Jaques Louissier zu vernehmen. Richtig heftig wird es dann bei "Lingony Ext", einer zwölfminütigen Suite, in der Pertiet eigene Themen mit solchen von Monk kontrastiert. Hier ist die Boogiemäßige Leichtigkeit vorbei, hier fordert der Künstler über die ganze Zeit die völlige Aufmerksamkeit. Denn das ist eindeutig keine Tanzmusik mehr für einen fröhlichen Samstagabend. Das gehört eindeutig in den Bereich dessen, wofür man mit vollem Recht Kulturförderung beantragen könnte – kurz gesagt: das ist Modern Jazz/improvisierte Musik, wie man sie hier eigentlich kaum erwartet hätte. Doch für das Album ist diese Suite eindeutig einer der überraschendsten Höhepunkte für den Rezensenten.