Ihr Lieben,
wie ist Gott eigentlich? Kann ich ihn sehen? Wie sieht er aus? Und weiter: Wie sollte mein Verhältnis zu ihm eigentlich sein? Immer wieder wird behauptet: Gott und Mose wären Freunde gewesen. Aber das ist ein Irrtum.
Ihr kennt alle die Geschichte vom „Goldenen Kalb“, wo Mose auf dem Berg Sinai von Gott die zehn Gebote bekommt und unten im Tal die Leute sich in der Zwischenzeit einen sichtbaren und greifbaren Gott schaffen lassen. In dem Zusammenhang fällt sogar mal der Satz, dass Gott mit Mose wie mit einem Freund redet. Und hier schließt die heutige Geschichte an:
2. Mose 33, 17b-23
33,17 Der HERR sprach zu Mose: Auch das, was du jetzt gesagt hast, will ich tun; denn du hast Gnade vor meinen Augen gefunden, und ich kenne dich mit Namen.
33,18 Und Mose sprach: Laß mich deine Herrlichkeit sehen!
33,19 Und er sprach: Ich will vor deinem Angesicht all meine Güte vorübergehen lassen und will vor dir kundtun den Namen des HERRN: Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich.
33,20 Und er sprach weiter: Mein Angesicht kannst du nicht sehen; denn kein Mensch wird leben, der mich sieht.
33,21 Und der HERR sprach weiter: Siehe, es ist ein Raum bei mir, da sollst du auf dem Fels stehen.
33,22 Wenn dann meine Herrlichkeit vorübergeht, will ich dich in die Felskluft stellen und meine Hand über dir halten, bis ich vorübergegangen bin.
33,23 Dann will ich meine Hand von dir tun, und du darfst hinter mir her sehen; aber mein Angesicht kann man nicht sehen.
Ich kann den Mose verstehen – Lass mich Deine Herrlichkeit sehen – lass mich erkennen, wie groß und mächtig du wirklich bist. Du Gott hast mir eine riesige Aufgabe gegeben und erwartest nicht nur Gehorsam sondern auch jede Menge Glauben.
Ich will Dich so sehen, dass mir deutlich wird: Mein Glaube ist nicht umsonst. Mein Vertrauen wird nicht enttäuscht. Gott existiert, ich kann ihn begreifen. Gott schauen: alle mich quälenden Rätsel werden dann gelöst sein. Der Sinn des Lebens wird mir schlagartig deutlich. Das Problem von Leid und Ungerechtigkeit in dieser Welt – es wird mir mit dem Schauen Gottes gelöst. Wenn ich Gott sehe, dann werde ich gewahr, was die Welt im Innersten zusammenhält.
Dieser Wunsch, diese Sehnsucht nach Bestätigung und Klarheit ist auch schon darum verständlich, weil jede Beziehung von Personen von der Begegnung lebt. Zwei Menschen, die sich mögen, möchten sich so oft wie möglich sehen, möchten so nahe wie möglich zusammen sein. Darum heiraten wir. Darum laden wir immer wieder Freunde zu uns ein oder gehen zu ihnen zu Besuch. Eine Beziehung zwischen Personen lebt von der Begegnung. Nicht anders ist es mit unserer persönlichen Beziehung zu Gott. Auch sie lebt von der Begegnung. Kein Wunder, wenn Mose die Begegnung mit Gott so intensiv wie möglich haben möchte. Kein Wunder, wenn er Gott darum bittet: Ich möchte dir begegnen, dich schauen, wie du wirklich bist.
Doch Gott bremst ab – das, was Du willst, das funktioniert nicht. Ich bin dir gnädig – du bist mir so wichtig, dass ich mir Deinen Namen und deine Probleme merke. Aber Du bist nicht Gott. Du bist nicht genauso wie ich – und daher kannst Du mich nicht in all meiner Macht und Herrlichkeit sehen. Ich bin nicht Dein Freund, bin nicht so wie Du.
Freunde sind wichtig. Ihnen kann man ungefiltert seinen Frust und seine Freude, seine Probleme und Ziele erzählen. Und ein guter Freund wird Einspruch erheben, wenn ich in Gefahr bin, Mist zu bauen. Und ich werde mir dieses Recht auch nehmen und meinen Freund warnen. Und hier ist der große Unterschied zwischen Gott und einem Freund. Weil ich meinen Freund kenne, weil ich verstehe, wie er sich fühlt, was er sich wünscht, darum kann ich ihm auch Ratschläge geben. Aber was will Gott? Wie fühlt er sich? Ehrlich: Ich weiß es oft nicht. Ich bin mir da oft so unsicher. Und daher – wer bin ich, dass ich Gott freundschaftliche Ratschläge geben könnte? Gott Ist nicht der Freund des Mose. Er ist nicht mein Freund. Die Beziehung zwischen uns ist eine andere. Eine ganz andere. Auch wenn ich Vertrauen zu Gott haben soll und darf, auch wenn ich mit meinen Fragen und Nöten, mit meiner Freude und meinen Zielen zu ihm kommen darf und soll. Er ist eben nicht mein Kumpel. Er ist niemand, dem ich von gleich zu gleich gegenüber stehe. Aber er ist auch niemand, der mich von oben herab behandeln will.
Dem Mose macht Gott einen Gegenvorschlag: Du bist ein Mensch und kannst es daher nicht ertragen, mich in meiner ganzen Herrlichkeit zu sehen. Aber ich will Dich erleben lassen, was Du ertragen kannst. Ich will Dir zeigen, wie ich den Menschen gegenüber bin. Und ich werde dich vor dem beschützen, was Du nicht ertragen könntest.
Nicht jeder hat da besondere Erlebnisse wie hier Mose. Viele Christen wachsen durch ihr Elternhaus, durch den Kindergottesdienst, durch den Konfirmandenunterricht, durch den Gottesdienstbesuch oder auch durch die Teilnahme an einem Bibelkurs oder Glaubensseminar in eine vertrauensvolle Glaubensbeziehung zu Gott hinein. – Es gibt andere Christen, die kommen durch besondere Erlebnisse zum Glauben: Manchmal sind es schwerere Schicksalsschläge, die sie neu auf Gott aufmerksam machen. Manche berichten von einer besonderen Erfahrung Gottes am Anfang ihres von da an bewussten Glaubenslebens. Ich denke da an Bekehrungserlebnisse. Der Apostel Paulus hatte ein solches – im Übrigen ganz besonderes – Bekehrungserlebnis vor Damaskus, das ihn total umgekrempelt hat.
Manchen Menschen begegnet Gott auf besondere Weise. Manche erleben Gottes Nähe sehr intensiv auch im Gebet. Wir Menschen haben es nicht in der Hand, wie intensiv unser Gespräch mit Gott wird. Meistens – ich denke an die Nacht, wenn wir uns schlafen legen und den Tag im Gebet vor Gott beschließen – meistens passiert da nichts aufsehenerregend Besonderes. Wir beten. Wir haben das Gefühl, Gott hört uns. Wir erleben etwas von seiner Gegenwart. Das macht uns ruhig, so dass wir in Frieden und geborgen einschlafen können. Aber manchmal kann auch dieses abendliche Gebet – oder ein Gebet zu anderer Zeit – sehr viel intensiver als sonst üblich werden. Wir ringen mit Gott, oder wir sind dankbar und still in seiner Gegenwart; wir erleben seine Nähe sehr intensiv bis hin zu einem tiefen Glücksgefühl. Wir erleben seine Nähe so sehr, dass wir diesen Augenblick möglichst lange festhalten möchten.
Das ist ein Angebot. Das mit der Herrlichkeit, das mit der Allmacht Gottes, mit seinem unerträglichen Glanz – das trennt uns von Gott. Aber Gott selbst will gerade darauf in der Beziehung zu uns drauf verzichten.
Die Weihnachtsgeschichten sind dafür ein Beispiel: Gott verzichtet auf die Herrlichkeit, er wird Mensch und kommt uns nahe: Nur so, das weiß er, haben wir eine Chance, wirklich zu ihm in eine liebevolle und von Vertrauen getragene Beziehung zu kommen. Er ist derjenige, der ganz anders ist – aber er will es mir gegenüber eigentlich nicht sein.
Er wird Mensch und setzt sich unserer so kalten und brutalen Welt aus. Als bettelnder Wanderprediger zieht er mit seinen Jüngern durchs Land und kümmert sich um die, die am Wege sind und seine Hilfe brauchen. Er tritt den Menschen als einer gegenüber, der nicht unsere Konventionen und Grenzen bedienen will, einer voll Liebe und Mitgefühl.
Aber Jesus spricht wunderbare Worte und erzählt gute Geschichten: Worte, die den Schwachen Kraft schenken, den Armen Hoffnung machen, den Verzweifelten neuen Mut geben. Geschichten, die den Menschen Gott nahe bringen, seine Liebe zeigen und sie zu Glauben und Vertrauen führen. Und er macht den Leib der Kranken gesund und ihre Seelen heil.
Seitdem bewegt Gott mit der Geschichte seines Sohnes Jesus Christus immer wieder die Herzen der Menschen, führt sie zum Glauben an ihn und gibt ihnen Halt und Sinn, Hoffnung und ein Ziel für ihr Leben.
Das alles aber hat Gott nicht als unser Freund für uns getan, sondern als der heilige, als der allmächtige Gott, der sich selbst in Jesus Christus erniedrigt hat und uns aus reiner Barmherzigkeit und Gnade erlöst hat von allen Sorgen um unsere Zukunft, allen Zweifeln und aller Angst.