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die Bibel ist unwahrscheinlich gut darin, große Zusammenhänge in einfache Geschichten zu bringen, die großen Fragen des Lebens und überhaupt damit scheinbar simpel zu erklären. Etwa die Geschichte davon, wie der Mensch eigentlich zu diesem ewig unzufriedenen und immer nach Neuem suchenden Wesen geworden ist. Oder, um bekanntere Begriffe zu verwenden: Die Geschichte vom Sündenfall, wie sie im 1. Mosebuch im 3. Kapitel zu finden ist:

 

1. Mose 3, 1 – 24

(1) Und die Schlange war listiger als alle Tiere des Feldes, die Gott, der HERR, gemacht hatte; und sie sprach zu der Frau: Hat Gott wirklich gesagt: Von allen Bäumen des Gartens dürft ihr nicht essen?
(2) Da sagte die Frau zur Schlange: Von den Früchten der Bäume des Gartens essen wir;
(3) aber von den Früchten des Baumes, der in der Mitte des Gartens [steht], hat Gott gesagt: Ihr sollt nicht davon essen und sollt sie nicht berühren, damit ihr nicht sterbt!
(4) Da sagte die Schlange zur Frau: Keineswegs werdet ihr sterben!
(5) Sondern Gott weiß, daß an dem Tag, da ihr davon eßt, eure Augen aufgetan werden und ihr sein werdet wie Gott, erkennend Gutes und Böses.
(6) Und die Frau sah, daß der Baum gut zur Speise und daß er eine Lust für die Augen und daß der Baum begehrenswert war, Einsicht zu geben; und sie nahm von seiner Frucht und aß, und sie gab auch ihrem Mann bei ihr, und er aß.
(7) Da wurden ihrer beider Augen aufgetan, und sie erkannten, daß sie nackt waren; und sie hefteten Feigenblätter zusammen und machten sich Schurze.
(8) Und sie hörten die Stimme Gottes, des HERRN, der im Garten wandelte bei der Kühle des Tages. Da versteckten sich der Mensch und seine Frau vor dem Angesicht Gottes, des HERRN, mitten zwischen den Bäumen des Gartens.
(9) Und Gott, der HERR, rief den Menschen und sprach zu ihm: Wo bist du?
(10) Da sagte er: Ich hörte deine Stimme im Garten, und ich fürchtete mich, weil ich nackt bin, und ich versteckte mich.
(11) Und er sprach: Wer hat dir erzählt, daß du nackt bist? Hast du etwa von dem Baum gegessen, von dem ich dir geboten habe, du solltest nicht davon essen?
(12) Da sagte der Mensch: Die Frau, die du mir zur Seite gegeben hast, sie gab mir von dem Baum, und ich aß.
(13) Und Gott, der HERR, sprach zur Frau: Was hast du da getan! Und die Frau sagte: Die Schlange hat mich getäuscht, da aß ich.
(14) Und Gott, der HERR, sprach zur Schlange: Weil du das getan hast, sollst du verflucht sein unter allem Vieh und unter allen Tieren des Feldes! Auf deinem Bauch sollst du kriechen, und Staub sollst du fressen alle Tage deines Lebens!
(15) Und ich werde Feindschaft setzen zwischen dir und der Frau, zwischen deinem Samen und ihrem Samen; er wird dir den Kopf zermalmen, und du, du wirst ihm die Ferse zermalmen.
(16) Zu der Frau sprach er: Ich werde sehr vermehren die Mühsal deiner Schwangerschaft, mit Schmerzen sollst du Kinder gebären! Nach deinem Mann wird dein Verlangen sein, er aber wird über dich herrschen!
(17) Und zu Adam sprach er: Weil du auf die Stimme deiner Frau gehört und gegessen hast von dem Baum, von dem ich dir geboten habe: Du sollst davon nicht essen! – so sei der Erdboden verflucht um deinetwillen: mit Mühsal sollst du davon essen alle Tage deines Lebens;
(18) und Dornen und Disteln wird er dir sprossen lassen, und du wirst das Kraut des Feldes essen!
(19) Im Schweiße deines Angesichts wirst du [dein] Brot essen, bis du zurückkehrst zum Erdboden, denn von ihm bist du genommen. Denn Staub bist du, und zum Staub wirst du zurückkehren!
(20) Und der Mensch gab seiner Frau den Namen Eva, denn sie wurde die Mutter aller Lebenden.
(21) Und Gott, der HERR, machte Adam und seiner Frau Leibröcke aus Fell und bekleidete sie.
(22) Und Gott, der HERR, sprach: Siehe, der Mensch ist geworden wie einer von uns, zu erkennen Gutes und Böses. Und nun, daß er nicht etwa seine Hand ausstrecke und auch [noch] von dem Baum des Lebens nehme und esse und ewig lebe!
(23) Und Gott, der HERR, schickte ihn aus dem Garten Eden hinaus, den Erdboden zu bebauen, von dem er genommen war.
(24) Und er trieb den Menschen aus und ließ östlich vom Garten Eden die Cherubim sich lagern und die Flamme des zuckenden Schwertes, den Weg zum Baum des Lebens zu bewachen.

Die Schöpfung schloss ab mit den Worten: Siehe es war sehr gut. Die Welt ist prima, sie ist vollkommen, so wie sie geschaffen wurde. Wenn man das heute in einem Gespräch behauptet, wird man wahrscheinlich als reichlich beschränkt angesehen. Denn ehrlich: nur wer frisch und glücklich verliebt ist – oder wer voll Vertrauen wie ein kleines Kind ist, sieht die Welt als wundervollen und vollkommenen Ort.

Aber sonst: Sie ist ein Ort, wo man sich eigentlich fast nie zu Hause fühlt, wo man ständig im Kampf um das Dasein, um Freundschaft und Liebe gefangen ist. Warum das so ist, das ist das Thema der Geschichte von der Schlange, der Frau und ihrem Mann und dem Obst.

 

Die Wahrheit hinter dieser Geschichte handelt davon, wie Menschen das selbstverständliche gegenseitige Vertrauen verlieren und die vertrauende Nähe zu Gott – oder auch: Warum wir einsam sind und eigentlich immer unterwegs, um Heimat zu finden. Das ganze Drama unserer Existenz – oder eben Adams und Evas – geht damit los, dass Misstrauen geweckt wird. Die Schlange zischelt Eva ein paar unschöne Vermutungen ins Ohr. Und Eva hört hin.

 

Es ist das ganz sicher keine nur weibliche Angewohnheit, auf den letzten Klatsch und Tratsch zu hören. Es ist etwas rein menschliches, dass man immer auf dem neuesten Stand bleiben will bei den Ereignissen. Aber es ist etwas, was nicht immer nur gut für mich ist. Denn wie schnell lasse ich mir von einfach dahingesagten Behauptungen das Vertrauen zu einem Menschen zerstören – auch wenn es keinerlei Beweise für eine Aussage gibt: irgendwas wird ja vielleicht dran sein. Und schon ist man in Zweifeln und Verdächtigungen gefangen, sucht selbst danach, was faul am anderen ist.

Denn das ist die Kehrseite des Strebens nach Wissen, nach Erkenntnis. Wir wissen nicht, was wir erfahren werden. Und manche Erfahrung kann unser Weltbild völlig aus dem Gleichgewicht bringen. Auf manche Erfahrung könnten wir im Rückblick gern verzichten. Aber es gibt da keinen Weg zurück.

Die beiden im Garten Eden hatten durchaus keinen Grund, damit zu rechnen, dass Gott ihnen deswegen die Früchte vom Baum verboten hat, weil er eifersüchtig auf seine Stellung bedacht war.

Und trotzdem hörten sie auf die Stimme des Zweifels. Und sie erkennen – sie erkennen, dass sie nackt waren, sie erkennen, dass da etwas ganz Gewichtiges zwischen ihnen und Gott steht. Sie haben sich entfremdet – von ihm und voneinander.

Sie haben sich verführen lassen – und können sich plötzlich selbst nicht mehr ertragen. Weil sie erkennen: Erstens, dass sie Gott gegenüber eindeutig Mist gebaut haben. Und zweitens: dass sie so wie sie sind, völlig nackt vor aller Welt dastehen. Und das kann einem zu schaffen machen, wenn man erst mal ins Grübeln über sich selbst gekommen ist: Da sind die kleinen Falten, der Rettungsring um die Mitte, und vor allem die Spuren zu langer Nächte im Gesicht. Oder aber auch: Die Eifersucht, die Irrtümer, denen man aufgesessen ist – all das liegt nackt und deutlich vor aller Welt da. Das ertragen die beiden nicht. Und auch wir können – und da können Werbungsbilder oder Pornos noch so sehr das Gegenteil behaupten: Wir ertragen es nicht, in aller Öffentlichkeit nackt und bloß vor allen dazustehen. Weil wir eben unsere Fehler immer mit uns herumtragen.

Wenn ich mit Fehlern und Ängsten, mit inneren Verletzungen und meiner Unvollkommenheit, mit meiner Schuld und meinem Scheitern am Pranger stehe, dann ist das entsetzlich.

Die Angst davor bringt uns dazu, einander die heilen, selbstsicheren Menschen vorzuspielen. Mir Das ist das Tragische an dieser Scham wegen der inneren Nacktheit, dass sie uns dazu bringt, einander auch dort zu betrügen und zu täuschen, wo wir für die anderen wertvoll, segensreich, gut sein könnten. Angst trennt uns, Angst davor, missbraucht und verletzt zu werden, Angst vor dem Urteil der anderen, Angst um unser Gleichgewicht und unsere Unversehrtheit. Und der Zusammenhang mit dem ersten Akt des Dramas im Garten Eden scheint mir auf der Hand zu liegen:

Da die beiden dem, der Ursprung und Quelle ihres Lebens ist, misstrauen, haben sie auch den unbefangenen Umgang miteinander verloren und meinen, sich schützen zu müssen vor dem, was sie – andererseits – selbstverständlich ihm und den anderen antun.

Die Unbefangenheit ist verloren, und wir kommen nicht ins Paradies zurück. Wir haben Erkenntnisse und müssen mit ihnen leben. Wir fühlen uns nackt und allein. Und nur manchmal gibt es Augenblicke, wo man spürt und ahnt, dass Einsamkeit und Angst nicht gottgewollt sind, dass Vertrauen ohne Fragen möglich sind.

Vielleicht wagen wir manchmal Liebe und Vertrauen und halten allen unguten Erfahrungen, allen Vermutungen und Ängsten zum Trotz aneinander fest, und dann wird die Ehe, die Freundschaft. die Gemeinschaft in der Krise stärker, statt von Gerede und Verdächtigungen vergiftet zu werden? Wer darum weiß, wie sehr Geschwätz vergiften kann, wie sehr die Feigenblätter und die Rollen, die wir spielen, voneinander trennen, ist dem Sog der Einsamkeit und der Schuld vielleicht nicht mehr ganz so hilflos ausgeliefert – zumal ja Jesus immer wieder darum wirbt und dafür spricht und leidet und stirbt, dass wir der vertrauenden Liebe zu Gott Raum geben.

Die Geschichte im Garten Eden endet jedenfalls so, dass alle die bösen Möglichkeiten wahr werden: Gott ruft Adam, der sich versteckt wegen seiner Nacktheit. Und angesprochen darauf, woher er das weiß, schiebt er alle Schuld von sich: Die da war es!

Bildhaft deutlich und typisch für ihn und uns ist der ausgestreckte Zeigefinger: Die da! Und bei ihr geht es gerade so weiter: Die Schlange da war es! Und legt den Gedanken nah: Du, Gott, bist selbst dran schuld, denn hättest du die bösartige Schlange nicht geschaffen, wären wir nicht schuldig geworden.

Das ist die letzte Auswirkung des Sündenfalls: Dass wir einander Schuld zuschieben, dass wir nicht zu unserer Schuld und unserem Fehlverhalten stehen, dass wir uns zu Lasten anderer reinzuwaschen versuchen.

Die Menschen werden in die Fremde geschickt, weil zu Adam der angebissene Apfel gehört und zu Eva das Hören auf die Schlange, und weil sie beide ihre Verstrickung in das Versagen unaufrichtig von sich schieben. Vielleicht hat das auch damit zu tun, dass wir es nicht ertragen, uns selbst nackt, ungeschützt zu wissen – dann müssten wir uns ja eingestehen, dass wir durchaus nicht so stark sind, wie wir uns geben. Es sei denn, wir lernen, dass wir der Liebe wert sind, nicht trotz unserer Schuld, sondern weil wir wir sind, mit Ecken und Kanten und Schatten und Licht, mit Liebesfähigkeit und Animositäten und unbeherrschtem Zorn und Scham und herrlicher Freude und Lebenslust, mit Projektionen und Träumen und Scheitern und Erfolg, mit Verzweiflung und Glück – wir, ganz einfach, jeder für sich, unendlich kostbar, weil geliebt von Gott.

Immerhin ist das schwer zu lernen – wir sind ja aus der Nähe Gottes vertrieben, und unser Schicksal ist es, fern von ihm, in der Fremde, leben zu müssen. Und dann kommt das Wunder, dass er uns in die Fremde folgt, um uns auf dem Weg durch die Fremde wieder in seine Nähe zu führen. Und mitten in Schuld und Unaufrichtigkeit begegnet er uns in Jesus, aufrecht, liebend, ehrlich, schutzlos in seiner Liebe und ganz und gar uns zugewandt.

Amen.