Der ehemalige Bassist der Rolling Stones unternimmt gemeinsam mit Co-Autor Havers eine Reise zu den Ursprüngen des Blues. Herausgekommen ist eines der besten Bücher, die über diese Musik zur Zeit in deutscher Sprache erhältlich sind.

Um über den Blues zu schreiben, muss man ihn lieben. Das wird deutlich, wenn man Bill Wymans Buch „Blues. Eine Reise ins Herz und zur Seele des Blues“ liest. Das gemeinsam mit Richard Havers verfasste Werk ist genau das: eine Reise. Nicht eine von vorn bis hinten durchgeplante Pauschalreise mit Verkauf von Rheumadecken in einem abgelegenen Landgasthof und „lecker Schweinebraten“ irgendwo anders an der Strecke sondern ein behaglicher Trip auf den verschiedenen Wegen vom Mississippidelta hin in die musikalische Gegenwart. In dieser Vorllständigkeit ist das wahrscheinlich die beste Darstellung der Geschichte des Blues, die heute in deutscher Sprache zu kaufen ist.

Nun mag bei den Experten die Frage aufkommen, ob es denn noch eine Geschichte des Blues braucht in der Gegenwart, ob nicht eigentlich schon alle Themen erschöpfend behandelt wurden in den letzten Jahrzehnten. Denn gerade auch die Einführung der CD und damit die Veröffentlichung sämtlicher greifbarer Aufnahmen des Vorkriegsblues in digitaler Form hat jede Menge spezialisierte Artikel und Einzelveröffentlichungen im Umfeld der CDs ermöglicht. Und auch die bahnbrechenden Arbeiten, die Samuel B. Charters und andere Ende der 50er Jahre abgeliefert haben, sind heute noch voller Gewinn zu lesen. Und doch: Ein Werk wie Wymans „Blues“ ist mehr als das – denn es kann beim Leser die Sehnsucht wecken, sich selbst auf die Reise in das Herz dieser Musik zu begeben, sich einfangen zu lassen von den Gefühlen, die Bessie Smith in Schellack konservierte, den Höllenhunden zu begegnen, von denen sich Robert Johnson getrieben fühlte oder die aufregende Zeit in den Blues-Clubs in Chicago in den 50er Jahren nachzuerleben.

Der rund 400 Seiten starke und reichlich illustrierte Band deckt all dies ab und noch viel mehr, bringt er doch die musikalischen Entwicklungen immer wieder in Kontakt mit der Geschichte der Zeit, schildert den Sklavenhandel und den amerikanischen Bürgerkrieg ebenso wie die Jugend in Großbritannien nach dem zweiten Weltkrieg. Gerade die Erinnerungen Bill Wymans an seine eigene Jugend bis hin zur Zeit mit und nach den Rolling Stones illustrieren äußerst lebendig, wie einen auch als Weißer in Europa der Blues durchaus authentisch packen konnte.

Eingestreut in den Text sind neben diesen persönlichen Reminiszenzen Porträts von Blueslegenden von damals bis hin zu Eric Clapton, jeweils versehen mit Zitaten und Plattenempfehlungen. Und – für mich die spannendsten Teile des Buches überhaupt – die Geschichten einzelner immer wieder gecoverter Bluessongs mit Auflistung der verschiedensten Aufnahmen und ihrer Varianten. Aus Wymans Sicht angefügt ist dann noch eine mehrseitige Empfehlung der wichtigsten Platten, die man als beginnender Bluessammler haben müsste.

Was dem Buch – aus Sicht eines Nicht-Briten – fehlt, ist ein Abschnitt über Blues und Bluesmusiker in Europa. Und auch über Blues weltweit findet sich leider nichts. Das ist wirklich schade, kann aber dem ausgezeichneten Werk nicht wirklich zur Kritik reichen. Denn dies sind Spezialthemen, die man in so einer allgemeinen Geschichte nicht wirklich noch unterbringen könnte. Jedenfalls dann nicht, wenn man sich in dem Bereich nicht unbedingt auskennt. Obwohl ich mir da bei Wyman noch nicht mal sicher bin. Schließlich ist er seit Jahrzehnten Bluesfan und -sammler. Und so könnte ich mir vorstellen, dass in seiner Plattensammlung auch obskure Aufnahmen deutscher oder schwedischer Bluesmusiker zu finden sind. Aber das ist Spekulation.

Auf Wymans Homepage kann man sich (etwas teurer) eine handsignierte Ausgabe des englischen Originals bestellen. Die deutsche Ausgabe ist zur Zeit leider nur antiquarisch zu finden.