Wenn die Musiklegende Dr. John in einen Raum kommt, wird die Luft elektrisch geladen. Ohne Anstrengung und mit einem tiefen Krächzen nicht viel lauter als ein Flüstern, fordert die Legende hinter tausend funky Beats und Dutzenden von Hits wie „Rright Place Wrong Time“ Aufmerksamkeit. Mac Rebenac, so sein bürgerlicher Name ist ein höflicher, international gefeierter Sohn des Funk, Jazz, Blues und Rock von New Orleans.
Von Matt Marshall. Zuerst veröffentlicht in American Blues Scene. Übersetzung: Raimund Nitzsche.
Die 72jährige Piano-Ikone mit dem charakteristischen Spazierstock, der Brust voller Perlenketten (fast jede hat eine spezielle Bedeutung) und unerhört edler Garderobe bringt den Funk in jeden Raum, den er betritt.
Aber es sind nicht allein sein Charisma, seine Coolness und die berühmte Voodoo Performance auf der Bühne, für die der gute Doktor berühmt ist. Es ist vielmehr seine Fähigkeit, seit mehr als Musik zu machen, die seit mehr als vier Jahrzehnten frisch, vergnüglich und vor allem funky ist.
Wenn man Dr. John als „lebende Geschichte“ bezeichnen würde, dann erwiese man dem meisterlichen Musiker einen schlechten Dienst. Nur ein Durchlauf seines letzten Albums „Locked Down“ beweist, dass der unablässig aufmerksame Pianist niemals näher an der Definition dran war, wie populäre Musik klingen sollte.
Unter seinen ständig präsenten zeitlosen Hüten ist eine laufende Enzyklopädie, ein Schwamm des Wissens und Könnens von Blues, Jazz, der Musik von New Orleans und Dutzenden von Genres, Stilen und Künstlern. Wieso hat er es geschafft, was so wenigen Musikern in der Welt gelingt: Über all die Jahre einen immer einzigartigen, immer spannenden und coolen Sound und eine ebensolche Persönlichkeit zu behalten?
„Als ich aufwuchs, hörte ich alles, was mein Vater hatte. Er besaß einen Plattenladen“, sagt er und entspannt sich an einem großen Eichentisch weit oberhalb des Big Muddy Blues Festivals in einem alten Teil von Saint Louis. In weniger als einer Stunde wird er der Headliner der Show sein, vor tausenden dicht an dicht stehenden und schreienden Fans mit einer der wahrscheinlich besten Bands der Szene spielen. „Mein Vater hatte vier Arten von Schallplatten, die er verkaufte. Das waren Race Records wie Rhythm & Blues, Blues, Jazz…, da war Bebop, Traditional Jazz und afro-kubanische Musik, und da gab es geistliche Musik, Sprituals, Hymnen und ähnliches und es gab Hillbilly Musik. Ein Großteil der Hillbilly Musik war von Hank Williams oder ähnlichen. Das war so das, was ich hörte, als ich aufwuchs.“
Buchstäblich ein Leben von Erfahrungen in und um die Musik und ebenso ein Jugend in den zwielichtigen Ecken von New Orleans hat letztlich einen der berühmtesten Einwohnern der Crescent City hervorgebracht. Aber er hat nicht immer nur zugehört: Er lebte die Musik, absorbierte sie, lernte von und teilte sie mit den Menschen, die er „die Besten, die es gab“ nennt. Die Menge Namen, mit denen er gearbeitet hat, beinhaltet Cher, Gregg Allman, James Booker, Muddy Waters, Gatemouth Brown, Eric Clapton, Mick Jagger und so ziemlich jeden anderen, der im Laufe der Jahrzehnte in der Popmusik wichtig war. „Die Besten, die es gab“ ist ein Understatement.
Wenn er sich an die erinnert, die ihn beeinflusst haben, gehen Dr. John die unglaublichen Geschichten nicht aus. „Ich hab Muddy Waters bei The Last Waltz (Martin Scorseses großartiger Rockfilm) spielen sehen. Die Nacht vor den Filmaufnahmen spielte er Nine Below Zero. Ich sah jeden sogenannten Gitarrenhelden mit verkrampfen oder herunterhängenden Kiefern… Ich wünschte, das hätten sie gefilmt“, prahlt er. „Und das sind so die Dinge, die ich das Glück hatte, zu erleben.“
„Ich erinnere mich an Gatemouth. Ich werd niemals vergessen, als ich ihm sagte: Ich spiele dein Stück Okie Dokey Stomp als meine Erkennungsmelodie! Und er meint: Don‘t fuck it up, kid! Als er das gesagt hatte, nahm ich den Song nicht mehr als Erkennungsmelodie! So sehr bewundere ich Gate.“
„James Booker war mit mir fünf Jahre auf Tour.“ Booker, auch ein Eingeborener aus New Orleans, war einer der begabtesten Pianisten des 20. Jahrhunderts – aber eben auch eine gequälte Seele, der sein Leben lang mit der Sucht kämpfte. „Da gab es so viele Typen, die wegen Booker die Band verließen. Und irgendwie war mir das egal. Ich liebte die Art, wie Booker spielte… Und es ist schließlich meine Band! All die Leute haben mich auf verschiedene Weise beeinflusst. Genau so, wie Professor Longhair half mir auch Huey Smith in New Orleans, Earl King half mir beim Gitarrespielen. Es gab einfach so viele Leute dort.“
Wie schafft man es als Künstler, der in den 70er Jahren populär wurde, eine Karriere über Jahrzehnte zu erhalten? „Ich versuche, nicht Mister Vorhersehbar zu werden“, meint er in seinem heftigen Südstaatenakzent. Und diese Aussage trifft es wirklich, hat er doch für sein jüngstes Album „Locked Down“ mit Dan Auerbach von den Black Keys als Produzent zusammengearbeitet. Die Scheibe, ein atemberaubenden, hoch gepriesenes Werk aus Rock und Afrobeats, bekam einen Grammy. „Wenn jemand meint, sie würden von mir das oder jenes erwarten, irren sie sich normalerweise. denn ich mach nunmal mein eigenes Ding.“ Und sie haben sich geirrt. Niemand hatte die explosive Richtung von Locked Down erwartet. Rebenack faucht in den Stücken gegen die CIA und den Ku Klux Klan mit gleicher Verachtung, rühmt sich ein „Big Shot“ zu sein, schäumt über vor Wut, wenn es um Armut und Tod geht, und er preist Gott dafür, dass er seine Seele gerettet hat – und er macht das in zehn elektisierenden Stücken mit Auerbach an einer schreienden Gitarre, unheimlichen Beats vom Schlagzeug und natürlich mit seinem unendlich coolen Können am Piano.
Popularität und Alter machen das lebenslange Spiel mit der Musikindustrie keinesfalls leichter. „Hey, hier gibt es keine einfachen Manöver haraus. Natürlich gibt es Typen, die noch immer Gefallen zurückzahlen… Auch ich hab immer noch Gefallen zurückzuzahlen“, betont er mit ein wenig Stolz und der unter der Oberfläche zurückgehaltenen Melancholie von Jahren auf Tour, „das sollte ich inzwischen eigentlich kapiert haben. Ich versuch heute nur nicht mehr so viele Schläge abzubekommen wie früher!“ Seine ungezügelte, ständig einzigartige Sprache führt dazu, dass gebannt jedem Wort folgt, sein Humor lässt die Tatsache vergessen, dass man mit einem fünfmaligen Grammy-Gewinner und Mitglied der Rock & Roll Hall of Fame und einem der innovativsten Musiker unserer Zeit zusammen ist.
Wenn man es auf die elementarsten Grundlagen reduzieren soll, worauf es beim Musikmachen ankommt, dann ist das nach Dr. John das Tanzen. „Tanzen ist ein großer Teil von allem, was wir tun. Wenn Du die Leute nicht zum Tanzen bringen willst – wieso zum Teufel machst Du dann überhaupt Musik?“
Und in Zukunft, will er im Stile von „Locked Down“ weitermachen, wie sehen seine Pläne aus? An der Stelle starrt er zunächst ohne Worte und macht zwei Sekunden Pause, bevor er mit „Hör mal gut zu, mein Sohn!“ die Konversation an sich reißt. „Ich versuche nicht, Mr. Vorhersehbar zu sein. Ich will nicht Mr. Alleskönner sein. Ich will einfach nur Musik machen. Und ich will Musik machen nach all meinen Fähigkeiten.“
Leider ist in Deutschland Dr. John nur wenigen bekannt, nehme ich an?
Ich kenne Ihn noch aus den Rockpalast Nächten in den 70ern.
War immer ein Vergnügen!
Da hat leider auch sein letztes Album „Locked Down“ nur wenig dran geändert. Aber das liegt einfach auch daran, dass derartige Musik für das „normale“ Radio und die sonstigen Medien zu wenig hitkompatibel ist.