UNTERM SAFT GEHT’S WEITER / 28

zwei kinder mit ihr auf dem fahrrad und zwei im anhänger. ich kannte sie und wir winkten uns freundlich zu. und doch war ich froh, daß es nicht meine kinder waren, die dort im durchsichtigen, mit einer zugehangenen dicken plastikfolie versehenen planwagen hockten.
froh, daß es nicht so weit gekommen war und womöglich ich selbst in dem karren hätte hocken können, ihn hätte ziehen sollen.
25 grad im schatten. wieso hatte ich überhaupt meine jacke mitgenommen, hing sie mir doch nur als ballast in der hand. weil alles sich schlagartig verändern konnte? nicht nur das wetter? mich durchzogen innere kälteschauer und ich hängte die jacke über meine gänsehaut. freie hände. für einen freien mann. unfreien mann korrigierten mich die durchziehenden schauer. seelenbeben eines freien mannes. erschütterte blindgänger in der psyche eines menschen kräuselte mich die korrektur zitternd von der bordsteinkante: „hoppla! immer schön aufpassen!“ sagte ich laut zu mir selbst, schaute nach links und dann nach rechts, stolperte über meine eigenen füße stolpernd über die straße, sah, daß meine füße sich nicht traten, sich nicht einmal dezent trafen oder striffen, doch vielleicht stritten sie sich in meinem kopf und ließen mich so gegen meinen willen komisch watscheln. vorsicht! blindgänger mit zeitzünder! tretminen magnetisch! schauerte meine psyche. ich fror im kalten schweiß, erreichte die nächste kante, hatte angst, daß ein zeitzünder in mir noch heute so weit wäre, um das ding mit mir und sich endlich zu beenden.

„was klapperst und zitterst du denn so bei der hitze? hast du fieber? bist du krank?“ fragte die frau neben mir und wedelte sich mit der hand frischluft zu.
ich schaute auf ihr symbolhaftes nur-so-tun. „da kommt doch nichts. blöd, daß die draußen vor der tür keine bänke und tische haben, geh mal lieber an irgendeiner windigen ecke ein eis essen, dann brauchst du nicht so zu tun, als kämst du mit deinen händen an frischluft ran.“
„machst mir noch einen? aber mit bergen von geschredderten eiswüfeln drauf. kann auch ruhig halbe halbe sein.“ rief sie zur frau in richtung tresen, „und du hast fieber? hast du fieber?“ fragte sie mich noch einmal.
„zahnschmerzen.“ sagte ich, befühlte meine wange, ließ die zunge hinter den lippen langwandern und dann doch wieder laute formen: „aber dick wird nichts.“
„wär auch schlimm wenn irgendwas eitert. danke.“ hängte sie für den vor ihr abgestellten calpirinia an.
ich sagte nichts. mir fiel nichts ein.
„vorhin hab ich eine frau gesehen, die hatte bei der hitze ihre kinder in so einem anhänger drin hinterm fahrrad. zugemacht der hänger mit einer knallheißen folie. du hättest mal die nassen augen von den kindern drin sehen sollen. richtig dicke augen hatten die von der hitze und haben durch diese folie nach draußen gegiert. das müßte verboten sein. das ist ja so, als wenn ich meine kinder in der hitze im auto hocken lasse, weißt du, so in der prallen sonne, und ich geh derweile für zwei stunden ins nagelstudio.“
“vielleicht muß das so sein. aus verkehrsgründen.“ sagte ich, „kann ich mal einen neuen ascher haben?“
„suuusiiiii, heh suusii, meine kleine schnecke.“ rauschte ein mädel mit ausgebreiteten armen vor begeisterung wie flügelschlagend auf uns zu, nur daß sie nicht wie ein schwanenvogel rechtzeitig vor uns abhob. ich machte ihr ein wenig platz, ließ sie auf susi zufliegen: „susi, susi, susi, meine schnecke!“
„doreeeeen!“
umarmungen, rückenstreichelungen und küsse auf den mund.
„gehört der zu dir?“ fragte doreen und schaute mich an: „hallo.“
„grüß dich.“
„nein.“ entkam es susi in einem kurzen nein mit knalligem punkt. „der hat zahnschmerzen, der arme, friert und fiebert irgend wem oder irgend etwas hinterher. stimmts? stimmt doch, oder?“ fragte sie mich.
„ganz genau.“ sagte ich.
„und wem? bestimmt ’ner verflossenen schnalle. ich hab doch recht, oder? sei ehrlich.“ hakte sich doreen wie schon ewig anwesend, doch spürbar an einer antwort desinteressiert ein.
ich ließ keine an meinen zähnen ankommende luft mehr in mich ein.
„doreen, du hast doch einen guten zahnarzt, wie heißt der noch?“ unterstützte susi mein durch die nase atmen.
„zu dem geh ich nicht mehr, da ist jetzt eine andere tussy, und die soll total kacke sein. die hat einem freund von mir, kay, ich glaub den kennst du auch, der damals den nasenbeinbruch hatte, als norman ihm eine raufgeknallt hatte…“
„der kay mit y am ende?“
„ja, der. die hat jedenfalls meinem kay den falschen zahn gezogen. aber nun sag mal, susilein, wie geht es dir?“
„aber jetzt ist doch norman dein neuer oder bring ich da was durcheinander und kay war…“
„n o r m a n.“ zog doreen gelangweilt und wie ewig vergangen in die länge, „mit norman ist es doch schon ewig vorbei, du müßtest mal chris kennenlernen, also chris muß ich dir unbedingt mal zeigen, das ist…“

als ich vor der kneipe die straßenseite wechselte, trat ich auf der anderen seite in einen haufen hundescheiße, glatt und sohlenverschmierend, rutschte, strauchelte, fing mich an einer heißen kühlerhaube mit der hand auf. nichts da zum abkratzen.
nirgendwo an diesem tag.
also lief ich mit der scheiße weiter, nur daß diese scheiße sichtbar an den rändern meines schuhs hervorragte und ich sie sogar riechen konnte.
ballast in der hand?
wo war er? wo war die jacke?
die mädels waren weg. vielleicht zu kay.
„hast du meine jacke hier irgendwo rumliegen sehen?“ fragte ich das mädel hinterm tresen.
sie hing ihren oberkörper über die tresenkante und suchte mit ihrem kopf die barhocker ab, hielt mit einer hand ihre brüste fest: „ich seh keine jacke. wurde auch keine abgegeben. tut mir leid.“ sie zog die brüste vom tresen ab, hielt den kopf wieder normal, kontrollierte die flaschen im regal.
„ich war doch gerade eben noch hier. da hatte ich doch noch die jacke, bin doch mit jacke reingekommen.“
ihr blick wanderte von den flaschen zurück zu mir: „siehst du hier vielleicht eine jacke? oder zwei oder drei?“
blindgänger. scheiße auf dem bürgersteig. vorsicht! hoppla, immer schön aufpassen! gänsehaut und gänsekeulen. nichts zum abkratzen.

als das telefon klingelte ging ich ran: „sorgenich.“
„entschuldigung, falsch verbunden.“ sagte eine männerstimme.
mir quietschte und pfiff es im ohr. dann rauschte es, dann war gar nichts, dann wieder nur druck und geräusche für die ich keinen namen hatte.
warum riefen hier immer falsch verbundene leute an?
warum verbanden sie sich nicht mit sich selbst? was wollten sie von meiner frau?
„ach, ich weiß schon was.“ und dann ging ich meinem schuh entgegen. blöd von mir, daß ich ihn mit zu mir in die wohnung genommen hatte. man mußte nicht alles und jeden mit der eigenen frau bekanntmachen. und auch hier nichts zum abkratzen. nur große und kleine löffel, messer und gabeln, feuerzeuge, dosenöffner, korkenzieher, flaschenöffner in den schubfächern. nichts für scheiße. und dann hörte ich das handy stöhnen, diese erinnerungstöne, kurz bevor ein akku schlappmacht.