es blieb alles zu verstehen.
nur, wieso sollte ein mensch alles verstehen?
der mann verstand das nicht, grub seine hände in die taschen, versuchte, an nichts zu denken und machte sich von der kneipe auf einen dunklen verbindungsweg von einem ghetto in greifswald zum anderen, sah eine gruppe von jungen leuten auf sich zukommen, registrierte auf den letzten metern der begegnung, daß sie vermummt waren und dachte: ‚die kids werden wohl plakate kleben.‘, bemerkte beim passieren das hervorholen einer baseballkeule hinter dem rücken der ihm am nächsten kommenden person, und dann hatte er das fürchterlich ausgeholte instrument auch schon mitten im gesicht. der mann nahm die hände aus den taschen, taumelte nach vorn und erwartete die nächsten, ihn endgültig umbringenden schläge, hörte: „geil alter, sauberer schlag!“, sah jemanden seitlich den baseballschläger suchen, sah den jungen mann den schläger finden und stellte sich auf ein ihn kopfzermatschendes aus ein, hörte den bengel wegrennen, vernahm noch einmal ein: „sauberer schlag, eh!“, und dann rannten sie alle.
der mann versuchte, nicht auf die knie zu sacken, doch suchte er noch seine brille, er fühlte sie im kalten schnee und wiederum das heiße blut an seinen händen, im mund, im hals, im atem.
er wankte in richtung straßenlaternen, welche ihm das zuhause in der anderen hochhaussiedlung anzeigten. er hatte es nicht mehr weit, und in den ersten straßen der siedlung schaute er sich um, sah im schein der laternen seine blutspur im schnee.
‚bloß nicht fallen! bloß nicht liegenbleiben!‘, waren ein paar gedanken, die ihn vorwärtstrieben, die ihn endlich einen bund mit schlüsseln hervorkramen ließen, einen schlüssel ins schloß der tür manövrieren ließen.
der mann betrat die wohnung. sie war nicht beleuchtet.
„na endlich. ach, es ist schön, daß du kommst.“, hörte er die stimme seiner freundin.
„schatz, nicht erschrecken, wenn ich das licht anmache.“ gurgelte er blutend hervor.
der mann knipste das licht an.
„oh nein!!, oh gott, oh gott!!, hat dich ein bus angefahren!!?“, schreckte die frau vom sofa hoch.
„nein, `ne baseballkeule, vielleicht ein gummiknüppel oder ein eisenrohr, keine ahnung.“
„wer? die bullen?“
„ach, irgend `ne idiotische gang aus den plattenbauten hier ringsum.“
der mann ging ins bad, spuckte blut ins waschbecken und schüttete sich händeweise kaltes wasser ins heiße gesicht.
„du hast ja ein großes loch zwischen deinen augen im kopf!!“ kreischte die frau. „los, du mußt schnell zum arzt! wir müssen irgendwo anrufen!“
der mann schaute in den spiegel. die frau hatte recht. er blickte in ein großes, blutverkrustetes, doch noch immer blut ausstoßendes loch mitten im gesicht. der mann beugte sich dichter an den spiegel und schaute in das loch in seinem kopf. es war leer in seinem kopf, schwarz, wie in einer sternenlosen nacht. ‚ich hab`s gewußt.‘, dachte der mann, ’nichts weiter als gähnende leere und dunkelheit! ein vollkommen hohler und leerer kopf!‘ „ich hab`s gewußt!“ fügte er laut hinzu.
„was weißt du?“ fragte ängstlich die frau.
„nichts!“ sagte der mann, „meine birne ist vollkommen hohl und leer! ich hab`s gewußt!“ stöhnte er vor sich hin.
dann waren sie auf der menschenleeren, nächtlichen straße und suchten ein öffentliches telefon. endlich. endlich eine zelle.
beim betreten sahen sie den abgerissenen telefonhörer am boden liegen und gingen zurück auf die straße.
das heranbrausende taxi hielt. der fahrer betrachtete sich den blutenden mann. „tut mir leid, leute. ich hab `ne bestellte fahrt.
aber da vorne fährt gleich ein bus.“ das taxi fuhr wieder ab.
der mann und die frau warteten auf den bus. der mann hatte sich einen schal vor`s gesicht gebunden, war bemüht, den mund frei zu halten, zog in abständen tief luft, verschluckte sich an seinem blut und würgte.
der busfahrer sagte nichts, starrte leer vor sich hin und fuhr das fahrzeug zum bahnhof. kein schalter hatte auf, und vor der bahnhofshalle lallte nur ein betrunkener.
die frau kam aus der telefonzelle zurück. „kaputt.“ sagte sie, sah einen streifenwagen langsam auf`s halbrondell des bahnhofs rauffahren, rannte dem wagen entgegen, stoppte ihn, zeigte auf mich und rief: „der mann ist verletzt!!“
der wagen fuhr langsam vor, ein polizist hängte seinen kopf aus dem fenster und fragte: „ist es schlimm sorgenich?“
peter sorgenich zuckte mit den schultern, er wußte es nicht, ging ans fenster des streifenwagens und wickelte seinen schal ab. „meine fresse!“ sagte der polizist, „gib mal durch, daß wir ins klinikum fahren!“, gab er seinem kollegen an. der mann stieg ein und die polizei betrachtete unbehaglich sein tropfendes blut.
„das ist nichts für uns!“ sagte der arzt, „der mann muß in der hals-nasen-ohrenklinik operiert werden! und wenn`s geht, gleich! aber vorher mach ich noch ein paar fotos für die studenten! so ein loch hab ich noch nicht gesehen!“ der arzt wickelte den mann in ein paar weiße tücher, ließ nur das loch im kopf frei, und dann hörte sorgenich das klicken der kamera.
irgendwie kam der mann in der anderen klinik an.
„oh nee!“ sagte der bereitschaftshabende assistenzarzt und nähte auf die schnelle das gewaltige loch zu, entließ den mann mit einer vollkommen schiefen nase und der bemerkung: „kommen sie morgen wieder, wenn der professor im hause ist. und tun sie mir einen gefallen, bauen sie keinen mist, versterben sie mir nicht zuhause!“
die frau und der mann hockten auf ihrer matratze.
der mann stand auf, ging etwas schwindelig ins bad und schaute erneut in den spiegel. die nase war so krumm, als wollte sie sich unter allen umständen hautnah die pupille im rechten auge anschauen.
das gesicht schwoll an.
der mann versuchte sich hinzulegen, doch das angeschwollene gesicht vergrub im liegen seine augen.
sie saßen wieder, und jetzt erhob sich die frau: „ich will versuchen, deine blutübertrockneten schuhe zu putzen.“
„danke, mein engel.“ gurgelte hustend der mann.
der professor schrie die ihn umgebenen mediziner an: „welcher idiot hat letzte nacht diesen mann zurück auf die straße geschickt!! der mann geht als erster in den op!“
„ich schau mal auf den dienstplan.“ sagte die ärztin der frühschicht.
der mann wurde in weiße tücher gehüllt, spürte unter den verdeckten augen das blitzen einer kamera. „das sind ein paar fotos für die studenten.“ sagte die ärztin, „ich schätze, daß ist ein doppelter, offener, irgendwie zusammengenähter nasenbeinbruch.“ sagte eine andere stimme. „kann sein.“ sagte die ärztin, befreite ihn von den tüchern und fragte: „wie geht`s, herr sorgenich?“
„blendend.“ sagte der mann und schnappte nach der krankenhausluft.
er erwachte in hilfloser atemnot sitzend im bett, schaute panisch herunter auf seinen weit aufgerissenen mund, rang immer noch nach sauerstoff, sah feine bändchen aus seiner nase schaukeln, rief irgendwas und schlief benommen wieder ein.
in den nächsten tagen besaß er neben seinen stöpseln in der nase hühnereigroße, blutgefüllte und stark bewegliche ovale bällchen unter beiden augen. drehte der mann den kopf zur linken seite, schoben ihn die bällchen die augen zu, drehte der mann den kopf zur rechten seite, taten die bällchen dasselbe, bewegte der mann den kopf nur ein wenig nach hinten, legten die blutgefüllten bällchen sich ganz auf seine augen. „wir versuchen es noch zwölf stunden weiterhin mit eis, sollten die stauungen bis dahin nicht etwas zurückgehen, muß ich das blut ablassen, sonst platzen ihre bälle!“ sagte die ärztin. eine schwester legte ihm wieder die eisbeutel auf die augen. „ach so, das hätte ich beinahe vergessen!“ meinte die zurückgekehrte ärztin, „ich brauche für die studenten auch noch fotos von ihren blutsäcken. und nicht einen happen festes essen! haben sie mich verstanden? und die stöpsel wechsle nur ich bei ihnen!“
„verstanden.“ sagte der mann unter den eisigen beuteln.
seine freundin brachte ihm schokolade mit.
„wird doch gehen, oder?“ fragte der mann die frau.
„klar.“ sagte die frau.
der mann brach sich ein stückchen schokolade ab und steckte es in den mund. was für ein irres gefühl. er hätte nicht gedacht, daß bei seinem gewaltigen hunger ein bißchen schokolade den magen und die psyche so entkrampfte.
die schokolade begann zu schleimen. der mann rang nach luft.
„heh, heh! du wirst mir doch nicht an einem stückchen schokolade ersticken!“ rief die frau, richtete den mann etwas auf und meinte: „du kannst von glück reden, daß du kein boxer bist!“
der mann konnte nicht antworten, schnappte weiterhin nach luft und dachte: ‚wieso boxer?, mit baseballkeulen im ring?‘ und erholte sich ein wenig.
„ich gehe jetzt was richtiges essen!“ sagte der mann, stand auf, wickelte vorsichtig seinen schal unter die hängenden, mit blutgefüllten unteraugeneier und suchte seine jacke. als wenn nichts wäre, gingen sie beide den flur entlang, verließen die klinik in richtung eines ihnen bekannten imbisses.
„eine currywurst! in kleinen stücken.“ sagte sorgenich, „und du?“ fragte er die frau. „ich auch.“ sagte die, „aber meine brauchen sie nicht zerhacken.“
„boxer, was?“ fragte der mann neben dem kleinen rost.
„was macht das?“ fragte sorgenich.
„MOOOMENT!“ sagte der mann, wischte seine fettigen hände an der schmierigen schürze ab und tippte irgendwas in die kasse.