Totgesagte leben länger oder Unverhofft kommt oft! Ich persönlich hatte nicht damit gerechnet, aber „Ultra“, das neunte Studioalbum, erschien 1997. Erste Aufnahmen für das Album mussten auf Grund des desolaten Zustandes Gahans abgebrochen werden. Er wurde zum Gesangsunterricht und zur Rehabilitation in eine Entzugsklinik geschickt. Glückes Geschick – es half. Als Produzent wurde Tim „Bomb The Bass“ Simenon engagiert. Außerdem füllten für die Aufnahmen verschiedene Studiomusiker, wie der Drummer Gota Yashiki oder der Keyboarder Dave Clayton, die Lücke, die Alan Wilder hinterließ. Die Produktion nimmt den glatten synthetischen Ton früherer Alben zugunsten einer opulenten Breitwandproduktion zurück, die detailverliebten Soundsperenzien sind einem Wall-of-sound gewichen, der mit schweren Gitarren, massiven Drums und bratzigen Analogsynthies ganz auf große Gesten setzt und den Boden bereitet für die mysthisch verschlüsselten Texte. Elemente von TripHop oder Techno finden ebenfalls dezenten Einfluss wie Rock oder Blues, sowie den klassischen DM-Elementen.
Elektronisch und mit wunderbar schwelgerischen Melodien, fesselt mich dieses Album bis heute vom ersten Ton an. Schon der Opener „Barrel of a Gun“ fasziniert im Industrial-Stil mit den blubbernden Synthetics, dem schwerem Beat (TripHop) und den zerrenden Gitarren – eine Erinnerung an alte SOFAD-Zeiten und eine musikalische Aufarbeitung der Drogenexzesse. Ein wunderbarer Song mit tollen Text und einem tollen Arrangement – ein echter Hinhörer. Im musikalischen Kontrast dazu die restlichen Songs des Albums. Der zweite Track „The Love Thieves“ wirkt dabei wie ein Restart der Band. Düster, melancholisch, schlicht – aber ergreifend und transparent im Klang. „Home“, gesungen von Gore, legt einen melancholischen Streicher-Chello-Teppich unter die flehenden Zeilen. Einer der schönsten Songs, der von Martin Gore je zu Papier bzw. zum Erklingen gebracht wurden. Es folgt „It’s no good“, ein treibender Popsong im Old-School-Gewand. Mit „Useless“ folgt nach einem instrumentalen Zwischenspiel eine etwas „härtere“ Nummer. Ich benenne die Richtung mal gewagt „Ambient-Rock“ (wenn es diesen Stil überhaupt geben kann) mit progressiven Nuancen. Das beschwörende „Sister of night“, das sanft-bluesige, fast countryhafte „Freestate“, das von Gore celebrierte „The bottom line“ und das abschließende Gahan/Gore-Duett „Insight“ zeigen eindeutig, dass die Band den Lebensfunken insich trägt – „The fire still burns.“ Sicher ist das Album nicht mehr mit Werken wie „Songs of faith and devotion“ oder „Black celebration“ zu vergleichen, aber mal ehrlich, wenn sich ein Album wie das anderen anhören soll, dann kauf ich mir Alben von talentfreien Bands wie Bad Boys Blue oder U2. „Ultra“ ist ein Album der geheimnisvollen Stimmungen – dezent im Sound, reif, elegant und zeitgemäß. Interressant sind auch die Gitarrensoli Gore´s in jedem der Albumtracks. Ein Album für Kopf-Hörer und nach „SOFAD“ das Zweitbeste in meinen Augen – bis heute.
Hörempfehlungen: „Barrel of a gun“ und „Home“ plus den Rest des tollen Albums