Es war knapp einen Monat nach der Maueröffnung. Zwischen beiden deutschen Staaten liefen Verhandlungen über eine gemeinsame Zukunft. Beauftragter der DDR-Regierung war der Stasi-Offizier Alexander SchaIck-Golodkowski. Mehr als 30 Jahre lang hatte er zu westdeutschen Politikern und Geschäftsleuten gute Kontakte gepflegt und Westgeld besorgt.
Ein „Devisen-Erwirtschafter“ sei er gewesen, sagt er von sich selbst. Der Milliardenkredit, den er mit Franz Joseph Strauß ausgehandelt hatte, half entscheidend mit, die DDR vor dem völligen Bankrott schon in den 80-er Jahren zu bewahren.
Schalck, der im Politbüro als einer galt, immer einen Weg zu finden, machte aus allem Geld was sich anbot: über das Diakonische Werk wurden Erbschaften aus dem Westen in den Osten transferiert, wobei die Stasi den Großteil des Geldes abschöpfte. Politische Gefangene wurden gegen Geld oder Lieferung von Südfrüchten an die Bundesrepublik verkauft. Und über Geheim- und Scheinfirmen seines Bereiches Kommerzielle Koordinierung (KoKo) wurde der Handel mit Produkten abgewickelt, die eigentlich dem Embargo unterlagen. Das meiste Geld aus diesen Geschäften lief über ein Sonderkonto, das direkt Erich Mielke unterstand.
Im Dezember ’89, nach dem Beginn der Veränderungen in der DDR, sollte Schalck seine Verbindungen nutzen, um die Position der letzten SED-Regierung im Westen zu vertreten. Dort galt er bei Politikern und Geschäftsleuten als respektabler Verhandlungspartner. Doch mit der Wende war Schalck plötzlich nicht mehr sicher vor Anfragen im Blick auf seine Geschäfte. DER SPIEGEL hatte am 20. November ’89 in großer Aufmachung über den Devisen-Beschaffer berichtet: Waffenhandel, Geschäfte mit dem Verkauf politischer Gefangener, Handel mit westlicher Technologie und die Versorgung der DDR-Führung mit Luxusgütern wurden genannt. Das alles hatte Schalck über Jahre hin im Auftrag und mit Wissen des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) organisiert.
Die SPIEGEL-Veröffentlichung sorgte dafür, dass Schaick in der DDR plötzlich kein Unbekannter mehr war. Das MfS warnte ihn jedoch, die Verbindung zu ihm zu offenbaren. Die Bürger begannen, Fragen zu stellen zur Herkunft von Luxusgütern der Politprominenz. Schalck merkte, dass die Luft für ihn immer dünner wurde. Der einst mächtige und wegen seiner Verbindungen unangreifbare Mann bekam Angst. Und er beschloss, sich weiteren Fragen und drohenden Gerichtsprozessen wegen „Untreue zum Nachteil sozialistischen Eigentums“ zu entziehen und setzte sich mit seinem Diplomatenpass nach Westberlin ab.
Unterschlupf fand er vorerst bei einem seiner Geschäftspartner. Die DDR ließ einen internationalen Haftbefehl gegen ihn ausstellen.
Auf der Suche nach Hilfe wandte er sich an Wolfgang Schäuble, mit dem er schon oft verhandelt hatte. Schalck suchte auch Rat bei Karl-Heinz Neukamm, dem damaligen Präsidenten des Diakonischen Werkes in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Schalck, der gute Kommunist, sah in Neukamm einen Seelsorger. Der Dia-konie-Direktor und der Anwalt Peter Danckert waren es auch, die Schaick am 6. Dezember davon überzeugten, sich unverzüglich den bundesdeutschen Justizbehörden zu stellen.
Was gesprochen wurde zwischen dem Diakonie-Präsidenten, dem Anwalt und dem ostdeutschen Geschäftsmann im Dienste der Stasi, fällt unter das Seelsorge-Geheimnis und anwaltliche Schweigepflicht . Daran haben auch die Befragungen verschiedener Untersuchungsausschüsse des Bundestages nicht zu rühren gewagt. Die Flucht Schalck-Golodkowskis und die nachfolgenden Befragungen durch den Bundesnachrichtendienst werden somit wohl nie vollkommen entzaubert werden können.
Anmerkung: Der Text erschien ursprünglich im Jahre 2000 in der Pommerschen Kirchenzeitung in der losen Reihe „Wendegeschichten“.