Seine Fans sind heute junge Hipster, Vietnam-Veteranen, Sträflinge, Biker, Jazzliebhaber, alternde Hippies und Hard-core-Blues-Fans. Er ist eine musikalische Legende. Und wenn er Musik macht oder schreibt, dann geht es ihm weniger um Technik oder Virtuosität. Sondern es geht um die Ehrlichkeit des Gefühls. Und darum, zu den Hörern Kontakt aufzunehmen.
Geboren wurde Charlie Musselwhite am 31. Januar 1944 im ländlichen Mississippi. Er wuchs auf und hörte Blues, Hillbilly und Gospel – im Radio und auf den Straßen draußen. Als er Teenager war, zog seine Familie nach Memphis. Um Geld zu verdienen, arbeitete er beim Grabenbau, als Betonarbeiter und vertrieb schwarzgebrannten Whiskey. Besonders als armer weißer Junge war es nicht leicht, in dieser Stadt aufzuwachsen. Das Gefühl, ein Außenseiter und Ausgestoßener zu sein ist bis heute in den Liedern Musselwhites zu spüren.
Fasziniert vom Blues in der Stadt begann er, Gitarre und Mundharmonika zu lernen. Bei Parties hing er zeitweise auch mit Elvis oder Johnny Cash rum. Doch richtig interessierte er sich für die alten Stars des Memphis Blues wie Furry Lewis, Will Shade und Gus Cannon.
Irgendwann folgte Musselwhite den seit langem vorgezeichneten Spuren des Blues: Um Geld zu verdienen zog er nach Chicago. Tagsüber fuhr er den Wagen eines Kammerjägers. Und abends hing er in den Bluesclubs der South Side herum und freundete sich mit Little Walter, Big Walter, Sonny Boy Williamson, Big Joe Williams, Muddy Waters und Howlin’ Wolf an. Schon bald trat er in den Clubs mit Waters auf und baute sich einen Ruf als Bluesman auf. Denn die ganzen farbigen Musiker und Hörer, die sahen ihn nicht als Weißen. Sie erkannten, dass er – trotz seiner Farbe – einer von ihnen war: ein junger Mann aus dem Süden, der den Blues lebte und liebte. Und der die gleichen Härten zu ertragen hatte.
Seine ersten Plattenaufnahmen erschienen unter dem Namen Little Charlie gemeinsam mit Big Walter Horton auf den heute legendären Samplern „Chicago. The Blues. Today!“ von Vanguard Records. Danach bot ihm Vanguard einen eigenen Plattenvertrag an – und ähnlich wie Paul Butterfield brachte Musselwhite das Spiel auf der elektrisch verstärkten Bluesharp den weißen Hippies nahe. Sein Debüt „Stand Back! Here Comes Charlie Musselwhite’s South Side Band“ wurde besonders in der kalifornischen Szene geliebt und gab ihm die Chance, in den Live-Tempeln von San Francisco aufzutreten.
Auch wenn er in den darauf folgenden Jahren den Blues nie ganz verlassen hat, hat seine Musik über die Jahre hinweg immer mehr andere Einflüsse aufgenommen: Den Jazz genau so wie Texmex oder Country, kubanische Musik oder andere Weltmusik. Doch immer war dabei spürbar, dass Musselwhite das als seine ganz eigene Musik fühlte und spielte. Dass er seine Ehrlichkeit dabei nicht aufgab. Und daher hat ihn jede Änderung seiner Musik keine Fans gekostet, sondern ihm im Gegenteil neue gewonnen. In den letzten 43 Jahren hat er über 30 Platten aufgenommen. Und außerdem stand er mit Musikern von Tom Waits über Eddie Vedder oder INXS bis hin zu Cyndie Lauper im Studio oder auf der Bühne.
Als bei Alligator Records „The Well“ herauskam, dann war das sein erstes Band-Album, bei dem er sämtliche Titel selbst geschrieben hat. Und es ist wohl sein persönlichstes Album überhaupt geworden. Denn jeder der Songs blickt auf verschiedene Erlebnisse seines Lebens zurück. So setzt er sich mit seinem langjährigen Alkoholismus ebenso auseinander wie mit der Schwierigkeit, trocken zu werden. Und im Duett mit Soulsängerin Mavis Staples Sad And Beautiful World erinnert er an die Ermordung seiner 93jährigen Mutter. Die wurde während eines Raubüberfalls auf das Haus, in dem er aufgewachsen war, getötet.