Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, dann fährt die Wasser-Prawda halt nach Unna, um endlich mal die Blues Company live zu sehen. Zeitgleich mit der Veröffentlichung bzw. der Auslieferung des neuesten BC Werks „Ain’t noting but…“ packte ich also meinen vierjährigen Enkel Maxim ins Auto und ab nach Unna.
Die Blues Company in der Lindenbrauerei Unna. Text und Interview: Mario Bollinger.
Todor „Tosho“ Todorovic sage mir schon im Vorfeld, ich müsse mal unbedingt ein Konzert in NRW miterleben, um deren Dimension zu verstehen. Die Lindenbrauerei mit seinem Kühlschiff war gut aber nicht komplett gefüllt. Das Publikum erwartungsgemäß älterer Natur, Maxim fiel als Jüngster natürlich auf.
Pünktlich kommt die BC, hier ohne Backgroundsängerinnen und ohne Standgebläse auf die Bühne. Die Herren Musiker machen eher den Eindruck eines italienischen Inkassobüros als den einer seriösen Blues Band, aber das gehört zum Handwerk. Tiefschwarze Brillen – schwarze Anzüge – Handwerkszeug. Und dann geht es los und erste Ton sitzt gleich tief in der Bluesseele. Die Band spielt in der 4-Mann-Besetzung super auf. Auf der Bühne sind: Todor „Toscho“ Todorovic, Großmeister der Halbresonanz und Gesang, die elektrisierende Telecaster und Danelectro gespielt von Mike Titré, am Bass Adrian „Adman“ Müller und Schlagzeuger Florian Schaube, er völlig ohne die oben genannten Arbeitsutensilien einer Blues Band.
Maxim schaut völlig gebannt und begeistert in Richtung Bühne, wo die BC ihre neue CD/DVD mehrmals ankündigt und natürlich viele Songs daraus spielt. Die Auswahl ist unheimlich vielfältig, geprägt durch die beiden Solisten der Band. Sowohl Tosho wie auch Mike Titré haben völlig unterschiedliche Sounds und Gesangsstimmen, was den ganzen Abend sehr kurzweilig macht. Auch tauschen Mike Titré und Adrian „Adman“ Müller gelegentlich mal den Bass, damit sich „Adman“ ans Keyboard setzen kann. Balladen, Swing, Blues, Texas Shuffle. Die BC zieht alles aus dem Hut, was der Großzauberer Tosho vorher drin versteckt hat.
Da stören auch technische In-Ear-Probleme nicht, zwei kleine Pausen und der Techniker richtet die Sache on the fly. Selbst eine gerissene Saite bringt Tosho nicht aus der Ruhe. Mike – bitte noch ein Solo mehr! Greift in die Tasche, zieht eine E-Saite raus, singt, spannt ein, tuned und singt wieder und schon passt die Sache. Profis halt und seit über 30 Jahren im Geschäft.
Und solche Musiker haben was zu erzählen. Zu jedem Song die Geschichte: Einmal rissen nacheinander zwei Saiten, das zwang Tosho dann damals doch in die Pause. Der russische Roadmanager, der in jeder Konzertstadt die Liebe seines Lebens hat. Songs und Stories reihen sich aneinander und immer wieder Songs aus der neuen CD „Ain’t nothing but …“, die wir an andere Stelle gesondert rezensieren. Sie kam exakt am heutigen Tag zur Auslieferung. Bei „Red Blood“ erzählt Tosho von seiner Angst, wenn er sich so weltweit umsieht und von Krieg und Terror liest. „The Mirror“ erzählt die Änderungen im Spiegelgesicht eines Mannes im Laufe seines Lebens. „Keep on singing the Blues“ – Tosho erzählt vom Roadmanager und den Helene-Fischer-gleichen Geschöpfen jenseits des Urals.
Während der Spielpause dann Merchandising im Foyer: Tosho erzählt mir im Vertrauen, dass sie gestern bei JPC bereits 250 Vinyl-LPs verkauft haben.
WP: Warum fahren denn die Leute so auf Vinyl ab?
Tosho: Keine Ahnung. Bei JPC ist bereits fasst die Hälfte aller verkauften Scheiben in Vinyl. Ich bin der Meinung, dass die Käufer von Vinyl Genusshörer sind und die qualitative Bannbreite und Dynamik einer Vinyl-LP zu schätzen wissen
Bereits im Vorfeld habe ich Tosho gefragt, warum man die BC so selten im Süden sieht. In der Pause hatte ich dann die Möglichkeit, mit Maxim auf dem Arm das Gespräch vorzuführen. Seine Antwort war an diesem Abend mehr als deutlich.
WP: Tosho, warum kommt Ihr so selten in den Süden?
Tosho: Dieses Jahr haben wir doch ein paar Konzerte in Süddeutschland. Nun, wenn wir auf Tour sind, das heißt, wenn die Termine entfernungsmäßig gut zusammenpassen, haben wir selten weniger als 200 Besucher bei in der Regel 20,– Eintritt. In der größeren Besetzungen natürlich entsprechend mehr. Wir müssen davon leben, es ist unser Lebensunterhalt. Du siehst ja hier in Unna sehen, wie groß der Laden ist und wie viele Leute da sind. Und: Unna ist 100 km von Osnabrück entfernt. Das machen wir auf einer Arschbacke und schlafen zu Hause. Das Ruhrgebiet ist ungeheuer groß und man kann sich hier „den Arsch abspielen“. Das ist unser Problem, warum wir so selten in den Süden kommen. Hinzu kommt, dass ich nicht mehrhinter jedem Gig hinterher laufe. Ich spiele lieber seltener, aber dafür schöne, große Gigs. Und ich kann und will nicht mehr jedem Veranstalter hinterherlaufen. Das habe ich jetzt fast 40 Jahre gemacht und ich bin der Meinung, wer uns haben und buchen will, soll sich bei mir melden. Das mag überheblich klingen, ist es aber nicht so gemeint. Ich bin 64 und will und muss mit meinen Kräften haushalten.
NB des Redakteurs: Ich als Bayer finde das eine respektable Ansicht und sehe die süddeutschen Veranstalter gefordert, hier mal tätig zu werden.
WP: Es gibt doch genügend Locations im süddeutschen Raum, wo Band wie HSS oder TYA oder The Blues Band international aufspielen!
Tosho: Oftmals sind die Locations zu klein für uns. Wir brauchen halt unsere Mindestzuschauerzahl, damit sich der Transport rentiert. Und zum Anderen habe ich es oft versucht, an Veranstalter und Hallenbetreiber ranzukommen und noch ein paar Mal versucht, wurde dann aber immer wieder vertröstet. Zum Schluss habe ich´s aufgegeben.
Derweil gehen am Merchandisingstand jede Menge Alben über den Ladentisch und die Fans lassen sich ihre tollen Scheiben natürlich sofort unterschreiben. Heute sind „goldene“ Signaturen angesagt. Auch der Standverkäufer Udo Stephan, ein verrenteter Maschinenbauer, ist begeistert und erzählt gerne. Er ist ein Freund des Papiers und deshalb hat er keine Email oder Webseite. Wenn man ihn erreichen will, muss man ihn anrufen. Ja und er kennt sie alle: Die Ten Years After usw. aber zur Trennung will und kann er nicht sagen. Nur so viel: Es war zwangläufig, dass sich der Publikumsliebling Leo Lyons samt dem schüchternen Joe Gooch von TYA verabschieden musste.
Nach der Pause ging es weiter. Beim genauen Hinhören viel dann doch mehrmals der Name „ Helene Fischer“. Oh Wunder – mit ihr geht’s nicht, ohne sie aber auch nicht.
Als sich das tolle Konzert dem Ende neigte, musste die BC dann doch noch mal für Zugaben ran. Und da gingen noch mal die Lichter richtig an. Ein Medley aus Hide Away, eine Fortführung des Peter Gunn Themas und noch viele Versatzstücke aus dem Blues Rock Portfolio bildeten ein grandioses Finish der Blues Company im Kühlschiff der Lindenbrauerei in Unna.