Ist Blues eigentlich sexistisch und frauenfeindlich? Der Theologe und Blues-Enthusiast Gary Burnett schlägt in seinem Beitrag den Bogen von den ersten Blueskünstlern und ihren Songtexten zurück bis zur Bibel und vorwärts in die Gegenwart.

Man muss wirklich nicht sehr lange Blues hören, um auf einige der sexistischsten, ja frauenfeindlichen, Texte zu stoßen. Robert Johnson etwa singt über seine „Kindhearted Woman“, die Frau die alles für ihn machen würder – alles wirklich schön bis auf den letzten Vers, wo er sagt, dass sie eigentlich die ganze Zeit nur das Böse erlerne und ihn töten wolle. „Terraplane Blues“ verwendet eine sexuelle Metapher und setzt den Körper der Frau mit einem Auto gleich, Johnson fragt die Frau: „Who been drivin‘ my Terraplane for you?“ – wer wird mein Auto für dich steuern, während ich unterwegs bin? Klar, dass er die Frau so als sein Eigentum ansieht. Es geht allerdings noch schlimmer etwa in Johnson‘s „32-20 Blues“, wo er singt: „Little girl, little girl, I got mean things on my mind“. Wahrscheinlich sind das genau diese „schlimmen Dinge“, von denen er auch im „Me and the Devil Blues“ sang: „Ich werde meine so lange schlagen, bis ich befriedigt bin.“

Johnson ist aber wirklich nur die Spitze des Eisbergs. Der Piedmond-Gitarrist Peg Leg Howell aus Georgia schrieb einen Song mit dem Titel „New Prison Blues“, der mit den Worten beginnt: „Ich werd deine Kehle aufschlitzen und dein Blues wie Wein trinken.“ Oder Big Bill Broonzy‘s „When I Been Drinkin‘“, wo die Worte drin vorkommen: „Ich suche nach ner Frau, die noch nie jemand geküsst hat. Vielleicht kommen wir zusammen und ich muss nicht meine Faust einsetzen.“ Oder auch Willie McTell‘s „A to Z Blues“, wo er seiner Frau erzählt: „Ich werd deinen Kopf auf vier verschiedene Weisen abschneiden… Ich werd A B C D in deine Schädeldecke schnitzen.“ Und das ist erst der Anfang, denn der Sänger will auch noch das Gesicht, die Arme und Brüste der Frau mit seinem Messer bearbeiten.

Blind BlakeSonny Boy Williamsons „All My Love In Vain“ spricht davon, dass er seine Frau auspeitscht, weil sie es eben braucht, während Lightnin Hopkins (in „Bring Me My Shotgun“) davon singt, er wolle seine Frau erschießen, weil sie sich einfach mit zu vielen Männern rumtreibe.

Sollten wir das als harmlosen schwarzen Humor ansehen? Oder sollen wir (wie Anne Lennon vorschlägt) Texte wie die von Robert Johnson als das nehmen was sie sind: „brutale, bildreiche und schrecklich destruktive und unmenschliche Aussagen über Frauen“

Nicht nur, dass der Blues uns einige ziemlich negative Texte über Frauen überliefert hat, oft wird auch in der Bluesgeschichte die Idee vermittelt, dass der Blues eine Domäne männlicher Künstler gewesen sei. Wenn wir heute in die Vergangenheit blicken, dann sehen wir dank der „Entdeckung“ des Blues von Wissenschaftlern, Liebhabern und Künstlern wie den Rolling Stones und Eric Clapton in den 60er Jahren – dann jedenfalls sehen wir den Bluesman als großen Gitarrespieler, sehen wir Männer wir Robert Johnson, Blind Lemon Jefferson, Blind Blake, Skip James und so weiter. Die Realität aber sah anders aus: Das alles waren zu ihrer Zeit relativ unbekannte Künstler im Vergleich zu den Frauen. Die größten Blues-Stars überhaupt waren Frauen wie Mamie Smith, Bessie Smith, Ma Rainey, Victoria Spivey und ihre Cousine Sippie Wallace. Ma Rainey war eine der ersten, die 1920 Blues aufnahm. Und sie und die anderen entwickelten sich zu großen Platten-Stars. Bessie Smith, die Kaiserin des Blues, nahm mehr als 160 Stücke auf und füllte mit ihrer großen Stimme, ihrer großen Persönlihckeit und ihren sensationellen Outfits die Läden, wo auch immer sie auftrat, und sei es in den Theatern von Harlem. Es waren die Frauen, die das 12-Takte-Blues-Schema popularisierten, und sie waren auch für einige Jahrzehnte viel bekannter als die Männer im Blues.
Und natürlich hat sich die Geschichte der Frauen im Blues bis zum heutigen Tage fortgesätzt mit sochlechen Künstlerinnen wie Etta James, Irma Thomas, Bonnie Raitt, Susan Tedeschi, Mavis Staples, Carolyn Wonderland, Grace Potter, Shemekia Copeland – und wir könnten diese Liste noch lange fortsetzen.

Blues-Musik, wie vieles andere in der populären Kultur in den vergangenen 100 Jahren hat zeitweise Frauen ignoriert, sie zu Objekten degradiert oder sie verunglimpft. Und wenn Sie denken, dass dies alles zur „Alten Geschichte“ gehört und dass die feministische Bewegung der letzten 50 Jahre gesigt hat: Sexismus und Frauenfeindlichkeit ist in allen möglichen Ausdrucksformen noch immer verbreitet von den Boulevarzeitungen über Hip-Hop-Texte und Videos bis hin zum Heavy Metal, der Filmbranche oder der Mode- und Kosmetikindustrie. Oxfam hat vor kurzem gesagt: „Von London bis nach Lahore besteht die Ungleichheit zwischen Männern und Frauen fort.“

Dies gilt nicht nur in vom Krieg zerrütteten afrikanischen Ländern, in denen Frauen unter Vergewaltigung und Gewalt leiden oder in islamischen Ländern wie Saudi-Arabien, wo Frauen weder Auto fahren, wählen oder öffentlich Sport treiben dürfen und das Patriarchat praktisch jeden Aspekt ihres Lebens bestimmt. Es gilt auch nicht nur in Indien, wo die Abtreibung weiblicher Kinder weit verbreitet ist. Auch in fortgeschrittenen westlichen Gesellschaften in Europa und den USA besteht die Ungleichheit fort. Im Vereinigten Königreich verdienen vollbeschäftigte Frauen in der Regel 25 Prozent weniger als Männer. In den USA ist das mit 23 Prozent nur wenig besser. Die Ungleichheit besteht auch noch in der Politik: Weniger als fünf Prozent der Mitglieder des Kongresses sind Frauen. Und in einem internationalen Ranking des Geschlechterverhältnisses von Männern und Frauen in den Parlamenten kommt Großbritannien auf den 45. Platz hinter Pakistan und den Vereinigten Arabischen Emiraten.

Und wie ist es mit der Kirche? Schließlich sollte es bei den Nachkommen der Jesus-Bewegung, so wie Paulus gesagthat in Christus weder Juden noch Heiden, weder Sklaven noch Freie, weder Mann noch Frau geben. Leider ist die Geschichte der Kirche durch die Jahrhunderte eine Geschichte der Ungleichbehandlung der Frauen. Die Kirche war durch die Jahrhunderte hin Männer-zentriert und zu einigen Zeiten direkt frauenfeindlich. Und das, obwohl das Neue Testament die Frauen durchaus positiv schildert, als engagierte Anhänger Jesu und Glieder der frühen christlichen Gemeinden. Im Brief des Paulus an die Christen in Rom schickte er seine Grüße an die Leiter der dortigen Gemeinde, von denen einige eindeutig Frauen waren. Und eine von ihnen, Junia, erkennt er sogar als Apostel (und damit als Führungsfigur der Gemeinde) an und meint, sie wäre einzigartig unter den Aposteln. In der jüngeren Vergangenheit gab es immer mal wieder Versuche, aus Junia einen Mann zu machen oder aber ihr Apostelamt wegzudiskutieren. Bei dem Gewicht der Beweise müssen wir mit dem Theologen Chrystostom aus dem 4. Jahrhundert anerkennen: „Schon ein Apostel zu sein ist großartig, aber unter ihnen herrausragend zu sein, was für ein Lob ist das! Wie groß muss die Weisheit dieser Frau gewesen sein, wenn sie für würdig befunden wurde, den Apostel-Titel zu tragen.“

Für einen guten Überblick über all die technischen Details rund um die Übersetzung von Römer 16,7 kann man sich das kleine ebook von Scot McKnight „Junia Is Not Alone“ im Netz kaufen, wo klar gezeigt wird, dass Frauen wie Junia gleichberechtigt waren bei der Leitung der frühen Gemeinden. Aber ebenso klar zeigt der Autor auch, wie sich das Muster, was bei der Löschung von Junias Beitrag für die Kirche aus der Geschichte sich im Laufe der Geschichte immer wiederholte. Das Verschweigen des Beitrags der Frauen für die Kirche, ihr Ausschluss von Gemeindeleitung und Priesteramt, die Dominanz der männlichen geschlechtsspezifischen Frage in Bibelübersetzungen und Kirchenliedern machen klar, dass diese herablassende und patriarchalische Einstellungen noch immer Teil der christlihcne Gemeinden in der ganzen Welt sind. Die Weigerung der römisch-katholischen Kirche, Frauen zum Priesteramt zuzulassen verbannt sie auch eine zweitrangige Ebene hinter den Männern. Gleichzeitig aber weigert sie sich, gegen eine „männliche Christlichkeit“ anzugehen, wie sie von Leuten wie John Piper und Mark Driscoll vertreten wird.

Ein Teil des Problems ist auch, dass wir Männer uns meist gar nicht bewusst sind, wie unsere Sprache – ohne dass wir es wollen – Frauen ausschließen. Wir sprechen die ganze Zeit von Gott als von „ihm“, obwohl wir doch wissen, dass Gott jenseits unserer menschlichen Geschlechter existiert. Wir predigen munter über alttestamentliche Texte, auch wenn in ihnen oft Frauen verunglimpft werden und machen uns nicht bewusst, dass wir damit die Hälfte unserer Gemeinden vor den Kopf stoßen. Aber es ist uns halt zu aufwändig, ein wenig Zeit zu investieren, um die Predigt aus einem anderen Blickwinkel zu halten. Und wir tolerieren Witze und Bemerkungen, die Frauen in eine unterwürfige Rolle drängen.
Trotz des Sexismus von vielen der männlichen Blues-Künstler und ihrer Songs sind Frauen weiterhin als Blues-Künstler einflussreich. Frauen wie Bonnie Raitt, Grace Potter, Shemekia Copeland, Carolyn Wonderland und andere sind große Songschreiber, Gitarristen und Blueskünstler. Sie werden anerkannt und geschätzt für ihr Können, für ihre Auftritte und für ihr Herz. Und so wie Bonnie Riatt nehmen sie in ihren Stücken den falschen Männlichkeitswahn zum Ziel: „Setz dich nicht übermich, Baby, liebe mich wie ein Mann!“ schreibt sie.

 

Es ist Zeit, dass gerade die Christen sich an die Spitze einer Bewegung setzten, in der Männer und Frauen als gleich und gleich wichtig für die Gemeinschaft anerkannt werden.