Es gibt verschiedene Meinungen über Witze in den kommunistischen Staaten. Der britische Dokumentarfilmer und Journalist Ben Lewis spürt in seiner Reportage „Das komische Manifest“ der Geschichte der kommunistischen Witze ebenso nach wie er versucht, eine Antwort auf die Frage zu finden, welche Bedeutung dieselben auf den Sturz der kommunistischen Systeme hatten. Seine teils persönliche teils wissenschaftliche Darstellung ist gleichzeitig eine Sammlung bekannter und unbekannter Witze aus diversen osteuropäischen Staaten.
Ben Lewis – Das komische Manifest. Kommunismus und Satire von 1917 bis 1989
Ich liebe gute Witze. Und wie die meisten in der DDR Geborenen vermisse ich besonders die politischen Witze. Scheinbar von einem Tag auf den anderen sind sie in der Wende verschwunden. Heute gibt es noch ab und zu treffsicheres politisches Kabaret. Doch eine Angela Merkel lässt letztlich jeden Witz an sich abgleiten wie auch jegliche Kritik an ihrem „Regierungshandeln“. Die Tatsache des Verschwindens des politischen Witzes steht auch am Anfang und Ende des „Komischen Manifests“ von Ben Lewis. Er stellt aber nicht nur die Frage, warum die Witze verschwanden sondern fragt vor allem auch, welche Funktion diese während der kommunistischen Zeit hatten. Die Suche nach Argumenten für die in der Forschung vertretenen maximalistischen These (die Witze hatten einen entscheidenden Anteil am Sturz der Systeme in Osteuropa) und der minimalistischen These (Witze waren nur ein Ventil, dass der Bevölkerung half, Dampf abzulassen, hinderte sie aber gleichzeitig an echter politischer Aktivität zur Veränderung der Verhältnisse) führt ihn quer durch Europa. Er trifft sich mit Witzsammlern und -forschern ebenso wie mit den Leuten, die früher für die Verfolgung von Witzeerzählern verantwortlich waren. Er spricht mit „offiziellen“ Satirikern etwa vom „Eulenspiegel“. Altkommunisten erzählen ihm noch immer ihre von keinerlei Selbsterkenntnis getrübten Lebenserinnerungen. Und letztlich droht das Unternehmen fast zu scheitern: All die von der Witzforschung seit den 50er Jahren vertretenen Thesen scheinen ihm nicht einleuchtend. Und außerdem muss Lewis irgendwann feststellen, dass die Zahl der wirklichen „Kommunistenwitze“ wesentlich geringer ist, als vermutet: Ein großer Teil der Witze geht in ihrem Ursprung schon auf Vorbilder aus dem 18. und 19. Jahrhundert zurück.
Gerettet wird die Untersuchung schließlich durch die Untersuchung eines Statistikers aus Rumänien. Der konnte in seiner regional sehr begrenzten Untersuchung nachweisen, wie sich die Inhalte und die Zahl der erzählten Witze im Laufe der politischen Entwicklung veränderten. Und diese wurden immer direkter, je näher die Revolution in Rumänien ankam.
Die Geschichte der kommunistischen Systeme aus der Sicht der erzählten Witze zu erzählen, ist eine äußerst unterhaltsame Angelegenheit. Lewis lässt es sich nicht nehmen, immer die passenden Witze aus den jeweiligen Epochen einzufügen. Das geht so weit, dass er in einer grandiosen Montage aus Alltagswitzen Episoden einer imaginären sowjetischen Version der Comic-Serie der Simpsons vor dem Auge der Leser entstehen lässt. Hier ist jegliche Analyse zweitrangig für Denjenigen, der seine eigenen Erinnerungen an Versorgungsmängel, Spitzeltum und Bürokratismus hat.
Einen Witz vermisste ich. Auch weiß ich nicht, in welcher Zeit er ursprünglich entstanden ist. Ich hörte ihn irgendwann in den 80er Jahren:
Ein Polizist sieht, wie ein Pfarrer sein Notizbuch verliert. Neugierig schlägt er es auf. Auf der ersten Seite steht: Gott erhalte Erich Honecker. Erstaunt blättert er um. „Gott erhalte Erich Mielke“, steht auf dem nächsten Blatt. „Gott erhalte Willi Stoph“, steht auf Seite drei. Der Polizist kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. So etwas hätte er bei einem Pfarrer nicht erwartet. Erneut blättert er um. Auf der vierten Seite steht: „Gott erhalte Leonid Breschnjew.“ In Klammern steht dahinter: Schon erhalten.“
Nein, das „Komische Manifest“ ist keine komplette Witzsammlung. Es ersetzt sicherlich nicht eine historische Untersuchung des politischen Widerstands in den Ländern des Ostblocks seit der Oktoberrevolution. Aber es ergänzt die schon verhandenen Arbeiten in einer Weise, die die oft überhöhten Perspektiven der Kommunisten und der Menschen, die sich gegen das System zur Wehr setzten. Und das macht es bei aller wissenschaftlichen Korrektheit unterhaltsamer als die meisten Geschichtsbücher.