Apostelgeschichte 06, 1-7 Verteilte Verantwortung 17.08.2008
Ihr Lieben,
es grummelt in der Gemeinde. Wir müssten doch – eigentlich wäre es doch nötig – warum passiert so wenig Werbung? Warum kommen nur so wenige zu den Gottesdiensten? Immer wieder tauchen solche Fragen in den Gesprächen auf, wenn man sich begegnet zwischen den Gottesdiensten.
Und es stimmt: So richtig zufrieden können wir nicht sein, was die Gottesdienste betrifft. Immer wieder sind es nur Ingo und ich, die die Predigten machen, bei der Musik klemmt es – und von der Werbung für die Gottesdienste wollen wir schweigen. Da fehlt es an allen Ecken und Enden.
Ein großer Teil der Schuld hängt dabei sicher an mir. Weil niemand anderes sich gemeldet hat, hab ich immer mal gesagt: ich mach das. Und dann hab ich es doch nicht geschafft, vergessen zwischen all den anderen Dingen,… Eigentlich war mir ja schon von vornherein klar, dass ich das so richtig nicht schaffen würde.
Es grummelt in der Gemeinde – und das ist ein Zustand, den es seit zweitausend Jahren immer mal wieder gegeben hat. Ich lese einen Abschnitt aus dem sechsten Kapitel der Apostelgeschichte des Lukas in einer modernen Übersetzung:
"Damals wuchs die Zahl der Jünger stark an. Doch bald fühlten sich die griechisch sprechenden Judenchristen, die sogenannten Hellenisten, gegenüber den aramäisch sprechenden, den sogenannten Hebräern, zurückgesetzt. Sie beklagten sich, die Witwen aus ihrer Gemeinschaft würden bei der täglichen Versorgung übersehen.
Da riefen die zwölf Apostel alle Jünger zusammen und erklärten: 'Wir können es nicht verantworten, die Predigt zu vernachlässigen, weil wir durch die Versorgung Bedürftiger mit Mahlzeiten zu stark in Anspruch genommen werden. Sucht aus eurer Mitte sieben Männer aus, die anerkanntermaßen reich an Heiligem Geist und an Weisheit sind. Diese sollen für die Versorgung zuständig sein. Wir selbst wollen uns intensiver dem Gebet und der Verkündigung widmen.'
Alle stimmten diesem Vorschlag zu. Die Jünger bestimmten Stephanus, einen Mann voller Glauben und Heiligem Geist, ferner Philippus, Prochorus, Nikanor, Timon, Parmenas und den Proselyten Nikolaus aus Antiochien, und stellten sie vor den Aposteln auf, von denen sie dann durch Handauflegung und unter Gebeten eingesetzt wurden.
Gottes Wort verbreitete sich, und die Zahl der Jünger in Jerusalem wuchs schnell."
"Griechische Juden", "hebräische Juden" in der Gemeinde? Das versteht man nicht gleich, darum will ich es erklären: Sowohl die griechischen als auch die hebräischen Juden, die hier genannt werden, waren getaufte Christen, so seltsam das auch klingt. Nur waren die einen vorher hebräisch oder aramäisch sprechende Juden gewesen, die anderen sprachen griechisch, denn sie stammten aus der Ferne, waren oft erst im Alter nach Jerusalem gekommen – in die Nähe des Tempels, also Gottes. Wenn sie dann starben, blieben ihre Witwen, wie wir hören, oft unversorgt, weil sie nicht wie die schon lange in Jerusalem ansässigen Judenchristen Familien in der Nähe hatten, die sich um sie kümmerten. Daher also kommt das Murren der griechisch-stämmigen Gemeindeglieder und wir können ihren ärger verstehen, denn es passt nicht zu einer christlichen Gemeinschaft, dass die einen versorgt, die anderen vernachlässigt werden.
Es grummelt schon dort in Jerusalem. Die Juden, die griechisch sprechen, kommen nach Jerusalem und lassen sich dort nieder. Ihre Familien waren einmal von dort ausgewandert, nun sind sie Christen geworden und wollen zu ihren alten und neuen Wurzeln zurück. Sie haben ein bisschen von der Welt gesehen. Ihr Herz ist etwas weiter als das der einheimischen Juden, die sich zu Christus bekannt haben. Aber sie sind durch ihre Familiengeschichten ärmer als die Alteingesessenen. Die wiederum sprechen kein Griechisch, sondern das einheimische einfache Aramäisch. Sie wissen zwar von der Forderung der Nächstenliebe, der Integration, aber die Zugezogenen sind auch irgendwie ein bisschen lästig. Nun sollen wir denen auch noch helfen? Konnten die nicht da bleiben, woher sie gekommen sind?
Aber sie hören die Predigten von dem einen Geist, dem einen gemeinsamen Glauben, dem einen Leib. Wir sind doch alle seine Jünger, sagt der Prediger. Aber mit der Hilfe füreinander hält man sich zurück. Die Spannung wird aufgedeckt, als die Zugezogenen, die griechischen Judenchristen, murren, dass ihre Witwen in der Gemeinde nicht täglich und zuverlässig versorgt werden. Die Apostel, die Gemeindeleitung in Jerusalem, stehen etwas ratlos da.
Die Zwölf tun das nicht, was zum Beispiel ich tue, wenn es um mich murrt. Ich murre dann auch. Ich suche mir ein paar Hörwillige und lasse bei ihnen etwas Dampf ab, um dann wieder eine Weile mit dem Murren leben zu können. Sie wissen ja auch, was für eine schwierige Sache es ist, klar auszusprechen, dass es brennt.
Die Zwölf tun das nicht. Sie malen die Ungerechtigkeit, die da geschieht weder groß noch machen sie sie klein. Sie drängen auf Abhilfe.
Sie fällen eine weit reichende Entscheidung für die Entwicklung der Kirche.
Sie berufen eine Gemeindeversammlung ein und schlagen vor, dass sie ein neues Amt in der Kirche schaffen, das Amt des Armenpflegers, des Diakons. Eine Gemeinde, die das Evangelium verkündigt, darf das Helfen, das Tun, nicht vergessen. Einer aber kann nicht alles, also schaffen sie zwei Ämter, den Verkündiger und den Helfer, den Pastor und den Diakon. Sie wählen sieben Männer aus, die anerkannt sind in der Gemeinde. Optimal ist ihre Lösung nicht, denn die sieben kommen aus dem Gemeindeteil der Zugezogenen. Man erkennt sie an ihren griechischen Namen.
Und eine weitere weit reichende Entscheidung. Sie schaffen eine Kirchenleitung, ein Landeskirchenamt sozusagen mit Vorgesetzten. Sie beruft, setzt ins Amt und führt feierlich mit Gebet und Handauflegung ins Amt ein. Niemand in der Gemeinde ist berufen, ohne Anbindung, freihändig, zu predigen oder zu helfen. Das hält eine Gemeinde zusammen.
Die Zwölf wünschen sich drei Befähigungen der zukünftigen Mitarbeiter, von denen mindestens zwei nichts mit dem Tischdienst zu tun haben. Einmal, die Diakoninnen sollen einen guten Ruf haben. Ja klar, das wäre auch unsinnig, einer eben noch murrenden Gemeinschaft Leute anzuhängen, über die schon allerhand Negatives im Umlauf ist. Zweitens, sie sollen voll des Heiligen Geistes und damit drittens voll Weisheit sein.
Lukas erzählt diese Nahtstelle der Kirche als eine Erfolgsgeschichte.
Die verschiedenen Aufgaben werden verteilt, die Verantwortung tragen nicht mehr nur wenige sondern eine größere Gruppe.
Es entsteht keine Hierarchie: Hier die Pfarrer, die Predige – da die Helfer und irgendwo ganz weit fort die normalen Gemeindeglieder. Nein, es geht einfach um die Teilung der Aufgabenbereiche: Die einen bleiben beim wichtigen Dienst des Wortes und der Verkündigung, die anderen übernehmen den Bereich der materiellen Versorgung, das tätige Handeln. Heute könnte man diese Sachen noch weiter aufsplitten: Wir brauchen in der Gemeinde eben nicht nur Prediger, Musiker und „normale" Gottesdienstbesucher. Wir brauchen auch Leute, die die Werbung und die Öffentlichkeitsarbeit im Blick haben, wir brauchen Menschen, die andere Leute einladen. Wir brauchen …
Ganz knall hart jetzt mal formuliert: Ich glaube nicht, dass ich in der nächsten Zeit sehr viel Muße haben werde, jenseits der Predigten und der Pflege der Webseite mich zu engagieren. Denn ich hab schon viel zu lange meine persönlichen und wirtschaftlichen Bedürfnisse einfach verleugnet. Und jetzt muss ich mich mit ganzer Kraft erst mal um zwei Dinge kümmern: Um Arbeit – und darum mit mir selbst endlich mal ins Reine zu kommen. Das wird eine Weile dauern, das werde ich nicht alleine schaffen, doch dafür werde ich Hilfe in Anspruch nehmen. Doch wenn das funktionieren soll, dann muss ich bei bestimmten Dingen einfach kürzer treten.
Die Trennung der Aufgabenbereiche in der Urgemeinde wurde notwendig, weil nicht alle Alles schaffen können. Das ist bis heute so geblieben, ja vielleicht hat sich das Problem noch verschärft, weil die Welt immer spezialisierter und komplizierter geworden ist. Und bis heute ist es so, dass die einen mehr für das Tun geboren sind und die andern mehr dafür, den Wert des Wortes im Blick zu behalten. Aber vergessen Sie darüber nicht, dass die beste Predigt nichts nützt, wenn das ganze äußere Umfeld der Gemeinde nicht stimmt. Alles gehört zusammen – und wir alle gehören zusammen. Und wenn wir das nicht aus dem Blick verlieren, dann kann geschehen, womit unser Predigtwort schließt:
"Und das Wort Gottes breitete sich aus, und die Zahl der Jünger wurde sehr groß in Jerusalem."