nebel. eine hand vor augen sehen? wessen hand? oder kam der äußere wahrgenommene nebel gänzlichst aus dem inneren des mannes, stellte sein inneres sich ihm von außen vor? stellte die sicht sich zwischen seine sicht?
 
„ich sichte nichts mehr, komm an nichts mehr ran.“ hörte seine frau ihn sagen. „alles ist so weit entfernt, gefühl, bin wie eingeschläfert, eingefroren, alles ist erstarrt in mir, aber eklig, das ist total qualvoll, man will das nicht haben und kommt dennoch nicht aus dem zustand raus. die heilerin sagt am telefon, ich sei weder depressiv noch traumatisiert, dieses brennen im mund und alles andere kommt von einem angeborenen bandscheibenvorfall in der halswirbelsäule, dadurch arbeitet die schilddrüse nicht mehr richtig, die hauptschlagader wird eingequetscht und mein gehirn bekommt nicht genug sauerstoff. daß ich noch nicht gestorben bin, sei für sie ein wunder. aber ich werde in kürze daran sterben, embolie, thrombose und so. warum erzählt sie mir sowas, ich hatte doch schon genug todesangst bei der pfortaderthrombose, als die ärzte mein eventuelles sterben bejahend abgenickt haben, und dazu noch die schwere entzündung durch die sigmadiverdikulitis und das stück darm, das trotz thrombose noch rausgeschnitten wurde, und dann will die heilerin mir noch die kopfhaut wieder gerade, also richtig zurechtrücken. ich weiß bloß nicht, wie ich zu ihr hinkommen soll, wie soll ich denn bis nach berlin kommen. und sie steht dann an dem tag um elf uhr auf der straße, weil sie keine klingel an der tür hat, und erwartet mich. parkplätze soll es geben, hat sie gesagt. und ich soll nicht selber fahren, mich fahren lassen, aber von wem? und ich soll meinen kopf nicht falsch bewegen, das könnte sonst mein ende sein. und die elektrokrampftherapie ist eine sehr schwere und fahrlässige körperverletzung, was die mit mir gemacht haben, was an mir begangen wurde. aber das war auch wirklich ganz schlimm, und diese grausame erregung nach dem künstlich herbeigekrampften epilepsieanfällen und die windeln, die ich tragen mußte, oh nein, oh nein, hör bloß auf. von den ganzen medikamenten im letzten jahr, in den monaten zuvor, und das in kürzester zeit, in kürzester zeit, das weiß sie ja gar nicht, und von der op vor dem elektrokrampfen ganz ohne alle helfenden medikamente und das monatelange angstvolle warten in der schweren depression auf’s krampfen bis die narbe zugeheilt war, damit die bei der prozedur nicht wieder aufbricht, keine beruhigungsmedikamente bekommen und nichts, und von meinen unfällen, da kann ja so ein halswirbelbandscheibenvorfall auch herrühren, von dem gewaltigen stauch beim autounfall, weißt du, damals, als sie mir mein bein abnehmen wollten und den herabbaumelnden arm wieder zusammengeflickt hatten, und überall hatte ich schnittwunden, auf dem kopf und im gesicht und glassplitter kamen wochen später beim kämmen noch aus der kopfhaut empor. vielleicht wandert so ein splitter auch noch in meiner birne rum und daher die fürchterlichen kopfschmerzen und alles jeden tag. und daß ich mal einen baseballschläger mitten ins gesicht bekommen habe, weiß sie ja auch nicht, doppelter offener nasenbeinbruch, da hab ich selber in meinen kopf reingeguckt, stand vorm spiegel und hab nichts gesehen, war alles leer im kopf. oder das kommt daher, weil ich, als ich mal mit steffi schön angesoffen auf dem sofa im waldschloß jeeser bei einer party saß, mir eine schwere lautsprecherbox von der decke auf den kopf gefallen ist. aber der drink danach hat besser geschmeckt als die drinks davor. oder habe ich diese unaufhörlichen schweren symptomatiken, weil ich schon so lange nichts mehr trinke?“
„weiß ich nicht. kann alles sein und nichts davon. zieh dich aus und leg dich erstmal zu mir.“ antwortete seine frau.
„dann hab ich ihr noch gesagt, daß ich vielleicht auch traumatisiert bin. und sie hat gesagt, sie sind nicht depressiv. und dann hat sie noch gesagt, sie sind nicht traumatisiert, hängte aber so etwas fragendes an. ich sagte dann aber, die ärzte haben gesagt… aber sie unterbrach mich und sagte, na was sollen die denn sonst sagen, meinen sie, die sagen zu ihnen, daß ihr gehirn zu wenig sauerstoff bekommt? und sie hat eine halbe stunde nur geredet, und ich weiß nicht mehr was, hättest ja das telefon lautstellen können, ich kann dir nicht mehr sagen, was sie alles sagte. aber daß sie auch ständig kopfschmerzen hat, hat sie gesagt, und ich fragte mich gleich, warum sie dann ihre täglichen kopfschmerzen nicht selbst behandelt, warum sie nicht selber was gegen ihre ständigen kopfschmerzen tun kann, an sich was tut, damit es ihr besser geht, und wenn ich dann mal was sagen wollte, hat sie mich gar nicht gelassen, ich kam gegen ihre ununterbrochene verbalität nicht verbal gegen an, aber ich habe es dann doch geschafft, zu fragen, warum sie sich nicht selber heilen kann, wenn es ihr so schlecht geht, und sie hat ganz erbost reagiert, empört gesagt, das mache ich doch jeden tag, und daß sie aber auch noch sechs stunden an anderen schwer arbeiten würde, du hättest mal das telefon laut stellen sollen, dann wüßtest du auch, was sie mir fünfundvierzig minuten ohne unterbrechung erzählt hat, ich weiß gar nicht, wie so was geht, warum sie mich nicht zu wort kommen läßt und trotzdem weiß, ohne mich zu kennen, daß meine fünf jahre anhaltende depression an einem halswirbelbandscheibenschaden liegt, und ich hab ihr auch nicht gesagt, daß ich in stundenlangen heulkrämpfen zu all dem anderen unerträglichen scheiß nur noch zuhause sitzen kann, das hättest du mal hören sollen, aber du hattest sie ja vorher selbst dran, hättest das telfon mal laut stellen sollen.“
„ich weiß nicht, wie man das telefon laut stellt.“, sagte seine frau, „und nun zieh dich aus und leg dich endlich zu mir auf’s sofa, damit ich dich ein bißchen spüren und anfassen kann.“
so ein nebel im mann und um ihn herum. doch er fühlte die hände seiner frau durch seinen nebel langen, nur spüren konnte er sie nicht. „wir fahren dahin.“ hörte er durchs taube fühlen hindurch seine frau. zuwenig sauerstoff im gehirn. der kopf brannte, der mund brannte, die zähne flammten ihm. sein gesicht war taub und er spürte es erstarrt in sich zusammengeschoben, dennoch das gefühl, als sei es schräg. aber seine frau hatte keinen führerschein. …und dann setzen sie sich mit ihrer frau hinten ins auto. sie sind doch miteinander verbunden…, hallte die heilerin durch seinen nebel hindurch in ihm nach.
„guck mal, mein gesicht ist ganz schräg, und die ganzen geräusche im kopf.“ preßte der schädeldruck aus dem mann hervor.
„ist nicht schräg. nichts ist schräg.“, sah der mann ihr gesicht über sich, sah ihre brüste durch den nebel baumeln, fühlte sie in seinem gesicht, spürte sie aber nicht, und er hörte ein auto hupen, wie denn bloß, wie war das möglich, lag er doch soweit abseits von der straße, von jeglichen straßen und deren dazugehörigem verkehr, und je dichter ihm die autos im nebel kamen, desto lauter wurde das hupen.
 

UNTERM SAFT GEHT’S WEITER / 77