14. März 2010 – Zehn Jahre Kneipengottesdienste – Wir predigen nicht uns selbst

über: 2. Korinther 1, 3-7
3) Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater des Erbarmens und der Gott allen Trostes.  4) Er tröstet uns in all unserer Bedrängnis, so dass auch wir andere in all ihrer Bedrängnis zu trösten vermögen mit dem Trost, mit dem wir selbst von Gott getröstet werden. 5) Denn wie wir überschüttet werden mit dem Leiden Christi, so werden wir durch Christus auch überschüttet mit Trost. 6) Werden wir aber bedrängt, so geschieht es zu eurem Trost und eurer Rettung; werden wir getröstet, so geschieht auch das zu eurem Trost, der wirksam wird, wenn ihr geduldig dieselben Leiden ertragt, die auch wir ertragen. 7) Und unsere Hoffnung für euch ist unerschütterlich, weil wir wissen, dass ihr in gleicher Weise wie an den Leiden so auch am Trost teilhabt. (Züricher Übersetzung)

Ihr Lieben,
ist das wirklich der richtige Text für so einen Anlass? Trübsal und Bedrängnis, Leiden und Erbarmen – das sind doch wirklich keine Themen für einen eigentlich fröhlichen Anlass. Überhaupt bin ich in letzter Zeit immer mal wieder drauf angesprochen worden, dass es hier immer mehr so bedrückt zugeht und nicht zuversichtlich und freundlich. Stimmt alles. Wir sind in letzter Zeit wirklich ein wenig zu sehr auf unsere Probleme fixiert gewesen.
Aber ich glaub, das war auch wichtig. Um eben dann wieder in der Lage zu sein, das zu tun, worauf es ankommt: Menschen zu trösten, ihnen nahe zu sein, Hoffnung zu schenken, wo Verzweiflung wohnt.
Trost. Darum geht es hier. Trost, trösten ist das entscheidende Wort in diesem Predigttext. Zehn mal kommt es vor. Paulus stimmt hier die Christinnen und Christen in Korinth ein auf Gottes Trost, der in schwierigen Situationen des Lebens hilft und trägt.

Trost. – Was ist das? Worauf kommt es da an? Darum geht es in dieser Predigt:

Trost bedeutet zunächst: Da nimmt sich jemand meinen Kummer zu Herzen. Da nimmt jemand meinen Schmerz ernst, einfach weil ihm an mir liegt.
Trost, wirklicher Trost bedeutet: Da gibt es jemanden, der sich mein Elend zu Herzen nimmt. Andere Menschen können das – Gott kann es immer. „Vater des Erbarmens" nennt Paulus ihn hier. Das bedeutet: Gott ist an uns, seinen Menschen gelegen. Unser Elend und unser Schmerz lassen ihn nicht kalt, sie gehen ihm nahe. Wenn die Bibel vom Erbarmen spricht, meint sie ein Mitgefühl, das jemanden in seinem tiefsten Inneren bewegt und umtreibt. Für Gott bedeutet das: Unser Leid rührt ihn im Innersten an, weil er es gut mit uns meint.

Trost bedeutet außerdem: Da versteht jemand, was mir weh tut. Da kann einer meinen Schmerz nachvollziehen. Und teilen.

Trost, wirklicher Trost bedeutet: Da gibt es jemanden, der meinen Schmerz versteht, der ihn nachvollziehen, der ihn teilen kann. Und das tut gut. „Geteiltes Leid ist halbes Leid."
Der Apostel Paulus schreibt in unserem Text aus eigenem Erleben, aus einem Gefühl tiefsten Getröstet seins. Er war es, der die Gemeinde in Korinth, in Griechenland, gegründet hatte auf seiner Missionsreise. Die Gemeinde hat Startschwierigkeiten, es kommt zu Zerwürfnissen unter den Christen vor Ort. Auf seiner zweiten Reise besucht Paulus die Gemeinde erneut, versucht zu schlichten und der Gemeinde den Weg zu weisen. Im Verlauf der Diskussionen wird Paulus von den Korinthern schwer beleidigt und gekränkt, ja seine Autorität als Apostel wird sogar in Frage gestellt. Daraufhin bricht er seinen Besuch ab, weil er merkt, dass der Bruch droht, dass sein Bleiben dort nur zur Eskalation beitragen würde, so verhärtet sind die Fronten.
Er kehrt zurück nach Ephesus und schreibt der Gemeinde in Korinth einen Brief, in dem er seine ganze Traurigkeit über die Geschehnisse zum Ausdruck bringt, den sogenannten Tränenbrief. Nicht aus gekränkter Eitelkeit, sondern aus tiefster Erschütterung und Sorge über die Entwicklung der Gemeinde dort. Er fühlt tiefe Bedrängnis, Trübsal, wie Luther übersetzt, weil er diese Gemeinde liebt und weil sie ihm am Herzen liegt, aber auch, weil er Christus liebt und weil ihm dessen Sache am Herzen liegt.
Nur wo Liebe ist, kann Traurigkeit entstehen.
Und so fühlt Paulus sich verantwortlich dafür, dass seine geliebten jungen Gemeinden auf dem Weg Christi bleiben, in seiner Nachfolge, und nicht sektiererisch eigene Wege suchen und gehen. Die Sorge treibt ihn so um, dass er der Gemeinde in Korinth den Brief durch einen Gesandten übermitteln lässt, seinen Begleiter und Gefährten Titus.
Ungeduldig wartet Paulus in Ephesus auf eine Reaktion der Gemeinde, dann, um die Wartezeit bis zur Antwort zur verkürzen, reist er Titus nach Mazedonien entgegen. Dort erfährt er, dass sein Brief die Gemeinde zum Umdenken veranlasst hat und dass sie sich mit ihm versöhnen will. Diese Nachricht erleichtert ihn und tröstet ihn dermaßen, dass er Titus erneut nach Korinth schickt u.a. mit den Zeilen, die unseren heutigen Predigttext umfassen.
Paulus schreibt den Christen in Korinth hier vom Trost Gottes, den er gerade in seinen dunkelsten Stunden immer wieder ganz besonders erfahren hat. Er spricht von Trübsal und Leiden. Und in der Tat hat der Apostel diese Begriffe in seinem Leben immer wieder schmerzlich durchbuchstabiert. Darauf geht er später in diesem Brief auch noch ausführlicher ein. Seine christliche Mission kostete den Apostel so einiges an Leiden und Entbehrungen. Auf seinen Reisen durch den Mittelmeerraum wurde er mehrfach ausgepeitscht und mit Stöcken geschlagen, einmal überlebte er sogar eine Steinigung. Oft war er unter abenteuerlichen Umständen auf der Flucht. In Damaskus entging er der Festnahme zum Beispiel nur dadurch, dass seine Freunde ihn in einem Korb außen an der Stadtmauer hinunterließen. Daneben musste Paulus auch immer wieder hungern, dursten und frieren.
Dreimal erlitt er Schiffbruch und war vom Ertrinken bedroht. Wochen und Monate verbrachte er in Gefängniszellen, die sicher nicht so komfortabel ausgestattet waren wie bei uns heute. Darüber hinaus plagten ihn die Sorgen um seine Gemeinden und immer wieder musste er auch persönliche Anfeindungen über sich ergehen lassen.
Untröstlich – wir können fest davon ausgehen, dass auch Paulus sich oft genau so gefühlt hat, dass er frustriert, entnervt und entkräftet war und dass er deshalb den ganzen Bettel am liebsten hingeschmissen hätte.
Hat er aber nicht. Stattdessen raffte er sich nach jedem Rückschlag wieder auf, zog weiter und verkündigte den Menschen das Evangelium, die frohe Botschaft von Jesus Christus. Wie ein Stehaufmännchen ließ er sich von nichts davon abhalten und von niemandem entmutigen.
Wie konnte Paulus so stark sein? Was gab ihm diese Kraft, immer wieder aufzustehen und weiter zu machen? In unserem Predigttext teilt er uns sein Geheimnis mit:
"Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes, der uns tröstet in aller unserer Trübsal" (Vers 3 + 4a)
Gelobt sei Gott – so lautet das Geheimnis, durch das Paulus immer wieder neue Kraft und neuen Mut bekam. In vielen Rückschlägen, in schlimmen Lagen, in Problemen und in Leiderfahrungen wusste der Apostel doch, wohin er sich mit allen seinen Sorgen und mit all seiner Not hinwenden konnte – nämlich zu seinem Gott!
Liebevoll nennt er ihn den "Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes". In diesen Worten steckt seine persönliche Lebenserfahrung drin. So hat Paulus Gott erlebt. Immer wenn er ganz unten war, hat Gott ihn getröstet und ihm geholfen. Er hat ihn wieder aufgerichtet und neu motiviert. Er hat ihm die Kraft gegeben aufzustehen und weiter zu machen.
Wie Gott das wohl gemacht hat? Genau wissen wir das nicht. Vielleicht hat er Paulus mutmachende Gedanken geschenkt. Vielleicht hat er ihm auch Menschen über den Weg geschickt, die ihn wieder aufgerichtet haben. Und sicher hat Gott auch hin und wieder ganz direkt eingegriffen und dadurch manche Umstände zum Positiven verändert. Oder er hat neue Wege geebnet, die den Apostel dann aus seiner Krise herausgeführt haben.
Was tun Sie, wenn Sie sich untröstlich fühlen? Wenn gerade wieder alles auf Sie einzustürzen droht, wenn der Boden unter Ihren Füßen zu entschwinden scheint? Wohin wenden Sie sich in Ihrer Not, mit Ihren Sorgen und Problemen?
Vor zehn Jahren wohnte ich noch nicht wieder in Greifswald. Statt dessen war ich in Hessen, wohnte bei einem Freund und versuchte, irgendwie beruflich wieder Fuß zu fassen. Allerdings merkte ich eines: egal um welche Stelle ich mich bewarb: ob in Jugendarbeit, Werbung, Journalismus,… mit der Angabe, dass ich eigentlich Pfarrer bin, schreckte ich sämtliche potentiellen Arbeitgeber ab. Da ging kein Weg rein. Und ich wusste nicht, wie weiter. Doch dann kam die Idee von meinem Freund Klaus – ein paar haben ihn bei Lenes Taufe kennengelernt: Schreib für uns – für die Kirchenzeitung. Das war das einzige Verbindungsstück, was es zwischen meiner Zeit als Student hier und dem Leben in der hessischen Provinz noch gab. Und dort las ich dann schon bald von Inges Kneipengottesdiensten. Letztlich verband sich dann für mich der berufliche Weg nach Greifswald mit dem Weg zu den Freibeutern. Und das eben auch als ein Weg des erfahrenen Beistandes in einer Notsituation.
Wenn wir Christen sind, dann sollte unsere erste Adresse unser himmlischer Vater sein, der Gott allen Trostes. Zu ihm können wir uns mit allen unseren Anliegen und Nöten wenden, zu jeder Zeit und an jedem Ort.
Allein schon der Umstand, dass wir eine solche wunderbare Anlaufstelle haben, an der wir keine Hemmungen zu haben brauchen, an der wir alles vorbringen und loslassen können, kann uns schon gewaltig helfen und trösten. Aber natürlich kann Gott noch viel mehr. Er kann uns tröstende Worte und hilfreiche Gedanken geben. Er kann uns helfende Menschen über den Weg schicken. Er kann auch direkt eingreifen und Umstände zum Guten wenden. Oder er kann durch seinen Geist bei uns selbst ansetzen, um zum Beispiel unsere innere Sichtweise eines Problems zu verändern. So kann uns Gott auch ganz neue Perspektiven eröffnen.
Und darüber hinaus gibt es dann auch noch den zweiten wichtigen Aspekt, den der Apostel Paulus den Christen damals und uns heute mit auf den Weg gibt:
"Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes, der uns tröstet in aller unserer Trübsal, – damit wir auch trösten können, die in allerlei Trübsal sind, mit dem Trost, mit dem wir selber getröstet werden von Gott." (Vers 3f.)
Wer getröstet ist, kann auch selber trösten. Wenn wir Gottes Trost und Hilfe persönlich erfahren haben, dann werden wir auch fähig, anderen Menschen tröstend beizustehen. Die Gabe Gottes an uns wird somit zu unserer eigenen Gabe, die wir wiederum an andere weitergeben können. So stellt sich Gott die Gemeinde Jesu Christi vor. Menschen, die ganz unterschiedlich sind, die alle ihre ganz eigenen Lebensumstände und ihre ganz besonderen Sorgen und Probleme haben. Die darin aber Gottes Trost und Beistand erfahren, und die deshalb fähig sind, aufeinander zuzugehen, einander beizustehen, einander zu trösten und einander zu helfen.

Amen.