Am 17. Oktober zeigt die „Wirkstatt“ (Greifswald, Gützkower Straße 83) im Rahmen der Reihe „Die DEFA zwischen Staatsauftrag und Kunst“ den 1961 entstanden Film „Der Fall Gleiwitz“ von Gerhard Klein.
Deutschland, im Sommer 1939. SS-Hauptsturmführer Naujocks wird mit einer geheimen Mission betraut: dem Überfall auf den Rundfunksender Gleiwitz. Für diese Aktion rekrutiert er sechs aus Polen stammende „Volksdeutsche“, die am 31. August, als polnische Freischärler verkleidet, den Sender Gleiwitz stürmen, das laufende Programm unterbrechen und einen fingierten Aufruf, eine Kampfansage gegen Deutschland, verlesen. Gleichzeitig wird, in Naujocks Auftrag, ein KZ-Häftling aus Sachsenhausen in eine polnische Uniform gesteckt, zum Sender Gleiwitz gebracht und erschossen auf dem Gelände des Senders zurückgelassen, als „Beweis“ für den „Überfall“ der Polen. Am Morgen darauf wird „zurückgeschossen“.
Mit seinem 1960/61 realisierten Film rekonstruiert Regisseur Gerhard Klein gemeinsam mit seinen Drehbuchautoren Wolfgang Kohlhaase und Günther Rücker minutiös den von den Nazis am 31. August 1939 fingierten polnischen Überfall, der den Anlass für den militärischen Angriff auf Polen, den Beginn des Zweiten Weltkrieges, liefern sollte. In einer exzellenten Bildsprache, die sich durch Symmetrie und Betonung der Geraden, durch kühne Schnittfolgen und eine expressive Lichtdramaturgie auszeichnet, entlarvt der Film die abgefeimten Macht- und Gewaltmechanismen der faschistischen Diktatur ebenso wie eine der perfiden Aktionen, mit denen die Nationalsozialisten die Welt über ihre Verantwortung für den Krieg täuschten.
Aufgrund seiner experimentellen Form wird der Film, der die Studioabnahme bei der DEFA vergleichsweise problemlos übersteht, von maßgeblichen DDR-Kulturpolitikern auf das Schärfste kritisiert. Allen voran SED-Kulturfunktionär Alfred Kurella, ein gefürchteter Verfechter des „Sozialistischen Realismus“. Kurella moniert, dass ihm das Positive im Film, der antifaschistische Widerstand, völlig fehle: Die Figur des KZ-Häftlings, von Hilmar Thate eindringlich gespielt, der zwar die Fäuste ballt, aber kein Wort zu sagen hat, reiche ihm dafür keinesfalls aus. Viel schlimmer aber wiegt der von Kurella geäußerte Verdacht, Gerhard Kleins Film ästhetisiere und glorifiziere den Faschismus, weil er dessen perfekte Mechanik vorführe. Für Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase konnte das Missverständnis nicht größer sein: „Der Fall Gleiwitz“ baue eine Gegenpositionen auf, er zeige so viel Mord und Totschlag, dass er die „kalte Mechanik“ nicht verkläre, sondern erkläre.
Obwohl es den Kritikern nicht gelingt, die Ausstrahlung des Films zu verbieten, zeigt ihre Ablehnung dennoch Wirkung. Nach seiner Premiere am 24. August 1961 in Berlin (Ost) wird „Der Fall Gleiwitz“ sehr bald nur noch in kleineren und in Studiokinos gezeigt. Heute zählt dieser Film zu den essentiellen Arbeiten der DEFA und behauptet seinen Platz in einer antifaschistischen Weltfilmkunst.
Der Fall Gleiwitz
Datum: 17. Oktober 2012, 19.30 Uhr
Ort: Wirkstatt (Gützkower Str. 83, Greifswald)
Eintritt ist frei
- DDR, 1961
- Regie: Gerhard Klein
- Drehbuch: Wolfgang Kohlhaase und Günther Rücker
- Musik: Kurt Schwaen
- Kamera: Jan Čuřík
- 70 min, s/w