Wer sein Buch dem Bielefelder Finanzamt widmet, zeugt von einem eigenwilligen Humor und lädt zum Weiterlesen ein. Jürgen Buchmanns Erzählung "Memoiren eines Münsterländer Mastschweins" ist nicht im konventionellen Sinne leserfreundlich konzipiert und gerade das macht es so lesenswert.

Diese ungewöhnliche Komposition erstreckt sich nicht mal auf 70 Seiten und bietet ein reichhaltiges Angebot an Sinnebenen mit zahlreichen außertextlichen Verweisen. Es ist vordergründig die Geschichte eines Schweins, das den heimischen Stall verlässt mit dem festen Vorsatz „…Literat zu werden, um das Wort zu Fall zu bringen.“ Sein Onkel Salmanassar, ein geschätzter Eber auf dem Hof, bringt ihm Latein bei, hält jedoch wenig von seinen literarischen Ambitionen. Die amüsante Reise, die mit dem Ausbruch beginnt, ist mit kleinen unterhaltsamen Anekdoten gespickt und endet schließlich in der alma mater von Bielefeld. Jedes der zwölf Kapitel wird durch ein oder mehrere Zitate – von antiken Dichtern, über Edgar Allen Poe bis hin zu deutschen Volksdichtern – eingeleitet, die ganz allgemein eine inhaltliche Tendenz über das Folgende anklingen lassen. Bis auf die letzten drei werden die Kapitel abgerundet durch „Stimmen aus dem Stall & Kommentare des Kobens“ in plattdeutscher Mundart, welche in einem Anhang für den Unkundigen des Niederdeutschen übersetzt werden.

Wollte man den vorliegenden Prosatext in eine bestimmte Kategorie von Textsorten einordnen, wird man auf einigen Schwierigkeiten stoßen. Bei der erstmaligen Lektüre des Eingangskapitels fühlt man sich an Kafkas „Bericht für eine Akademie“ erinnert und in der Tat spielt Buchmann mit der Mensch-Tier-Unterscheidung den Text durchgehend, jedoch erfahren wir beim vorliegenden Protagonisten im Gegensatz zu Kafkas Affen aus dessen tierischen Vorleben, während beim letzteren dies eine unüberwindbare Zäsur bildet. Auch die Analogie zu einem Lehrgedicht scheint nicht allzu fern zu sein, da der oben zitierte Vorsatz dem eines Zarathustras ähnelt, wobei die Zuordnung auf der sprachlichen Gestaltungsebene nicht erfüllt wird. Was ist es also? Eine große Allegorie? Eine Parabel oder doch ein Erzähltext, der mit diesen Elementen nur spielt? Die Frage muss nicht eindeutig beantwortet werden, weil man mit einer erzwungenen Zuordnung sich mehrere mögliche Zugänge zu dem Text unnötig blockiert.

Allein die ungewöhnlichen Namen bieten einen reichen Interpretationsspielraum. Salmanassar ist der hebräische Name für den obersten Gott, viele assyrische Herrscher trugen diesen Namen. Ist mit seiner ersten Liebe Sinaïda die russische Lyrikerin, mit Pater Emmerans der Benediktiner aus dem Hause Thurn und Taxis gemeint? Genauso könnte Sinaïdas späterer Liebhaber Napoleon ein orwellscher  Verweis sein, aber ähnlich wie bei der Textkategorisierung sind dies offene Stellen, die nicht unbedingt einer allgemeinen Beantwortung bedürfen, sondern vom Leser selbst spekulativ bewertet werden können. Gerade durch diese Fragen initiiert der an sich kurze Text eine geistreiche Spannung, die von zu vorschnellen Zuweisungen attackiert werden würden…..und was ist eigentlich ‚Fritzeln’?

Jürgen Buchmann – Memoiren eines Münsterländer Mastschweins

  • freiraum-verlag Greifswald 2012
  • ISBN: 978-3-943672-00-8
  • 12,95 Euro